Heavy Rain Review
Die PlayStation 3 befindet sich in den letzten Monaten auf einem deutlichen und überaus positiven Pfad. Durch Titel wie Uncharted 2 wurde uns aufgezeigt, was diese Konsole im Stande ist zu leisten und wie unglaublich viel Wirkungskraft Videospiele in der heutigen Zeit haben können. Nun schicken sich die Entwickler von Quantic Dreams an dem Ganzen die Krone aufzusetzen. Mit Heavy Rain liefern sie ein einzigartiges Spielerlebnis, dass allerdings im Vorfeld viele Zweifel hervorgerufen hat. Kann man so etwas noch als Videospiel bezeichnen? Diese Frage wird man nicht so einfach beantworten können und diese Frage muss auch nicht beantwortet werden. Heavy Rain ist ein außergewöhnlicher Titel geworden, der völlig neue Facetten für Games aufzeigt und der versucht vorhandene Grenzen in den Köpfen der Spieler aufzusprengen. Lasst euch drauf ein, denn wie kein anderer Titel will Heavy Rain wirklich erlebt werden.
In diesem Artikel versuchen wir Spoiler des Spiels großzügig zu umfahren und schneiden gewisse Inhalte nur oberflächlich an, um die Mechanik und Wirkung des Spiels zu erklären.
Privatdetektiv Scott Shelby ermittelt im Fall des Origami-Killers.
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Bereits der Start zeigt ein breites Spektrum des Heavy Rain Prinzips auf. Ein Sonnenstrahl scheint durch das Zimmer in dem Ethan Mars sich gerade im Aufwachprozess befindet. Genauso ergeht es dem Spieler, der diese recht banale Szene aus mehreren Kameraperspektiven gleichzeitig präsentiert bekommt. Eure erste Aufgabe besteht darin den Architekten aus dem Bett zu holen, wozu man auf dem rechten Analog-Stick eine langsame Bewegung nach oben ausführt. Was so banal klingt, entpuppt sich irgendwie aber als richtig harmonische Steuerungslösung. An diesen Gedanken darf man sich auch gleich gewöhnen, denn alle Aktionen im Spiel werden durch Quick-Time Eingaben bewerkstelligt. Die nächste Banalität, der man nachgehen darf ist die morgendliche Toilette, wo auch schon eure eigene Entscheidungsfreiheit ansetzt. Man darf erst aufs Klo gehen, sich danach die Hände waschen, es sein lassen oder gleich unter die Dusche hüpfen. Es ist euch überlassen, aber umso mehr man in der Rolle einer Heavy Rain-Figur drinsteckt, umso ausführlicher beginnt man alle Gelegenheiten des Spiels wahrzunehmen und zu erkunden. Schritt für Schritt baut sich eine Beziehung zur Figur auf, in der man recht schnell merkt, dass diese virtuellen Marionetten es schaffen Gefühle bei dem Spieler auszulösen. Das beginnt beim Kleinen, wie der Rasur vor Spiegel, bei der man äußerst vorsichtig den Anlog-Stick bewegt und geht über zu den richtig heftigen Entscheidungen, mit der dieser Krimi euch noch konfrontieren wird.
Heavy Rain erzählt die Geschichte des Origami-Killers und das aus vielen Perspektiven, die am Ende zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden. Wie dieses "große Ganze" dann aber aussehen wird, liegt in der Hand des Spielers. Der Origami-Killer ist ein Serienmörder, der immer zur Herbstzeit zuschlägt. In den letzten Monaten wurden kleine Jungs aus eher ärmlichen Verhältnissen entführt, die nach wenigen Tagen tot aufgefunden wurden. Alle Opfer der Mörders hatten aber markante Gemeinsamkeiten, wie eine Origami-Figur in der Hand und einer Orchidee auf der Brust. Vier Personen, deren Blickwinkel ihr steuern dürft, befinden sich auf der Jagd nach dieser mysteriösen Figur. Die Journalistin Madison Page stößt beispielsweise nur ganz zufällig zur Gruppe der Jäger, da sie in einem Motel Ethan Mars trifft, der sich auf der Suche nach seinem entführten Jungen in einem desolaten Zustand befindet. Eine weitere Rolle wird vertreten vom Privatdetektiven Scott Shelby, der im Auftrag einiger Eltern der Opfer in diesem Fall ermittelt. Als krassen Gegensatz des klassischen Privatdetektiven, agiert der FBI-Profiler Norman Jayden, der bei der Spurensuche auf das neuste Hightech-Arsenal zurückgreift.
Familienvater Ethan Mars steht ein hartes Schicksal bevor.
Jede der vier Figuren bringt dem Titel so vieles an Nuancen, dass es ausreichen würde, vier Geschichten daraus zu stricken. Blickt man beispielsweise auf den bulligen Privatdetektiven Scott Shelby, so fühlt man sich in einem Krimi der alten Schule versetzt. Die Stimmung im Spiel hat einen deutlichen Hauch von Film noir, die mit der passenden Musikuntermalung ein packendes Erlebnis bildet. Man untersucht, folgt und findet Hinweise - genau das selbe macht der Profiler Norman Jayden zwar auch, allerdings fühlt sich das Ganze hier schon wieder ganz anders und einzigartig an. Wie bereits erwähnt, bedient sich der FBI-Mann ganz anderer Methoden. Er besitzt eine Sonnenbrille mit ARI-Funktionen, die es ihm ermöglichen Gebiete abzuscannen und nach Hinweisen zu untersuchen, die man mit bloßem Auge nicht sehen würde. Jayden ist, wie alle anderen, eine sehr komplexe Charaktere, die in einer Art virtuellen Welt lebt. Diese lebt er nicht nur durch Drogenkosum aus, sondern er erschafft sie sich mit seiner ARI-Brille, die ein unglaublich spannendes Werkzeug darstellt. Er kann mit ihr eine virtuelle Datenbank aller Ermittlungsergebnisse aufrufen, in der er Hinweise miteinander kombinieren muss und so auf neue Schlüsse des Origami-Falls kommt.
Der gesamte Fall des Origami-Killers ist auf 50 Kapitel unterteilt, in dessen Verlauf die Handlung immer wieder von der einen zur anderen Charaktere springt. Alle Kapitel haben es gemeinsam in einer bisher nicht erlebten Qualität inszeniert zu sein, so dass man recht schnell dem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt ist, die dieser Titel vermittelt. Klassische Rätsel gibt es in Heavy Rain eigentlich nicht und alle Quicktime-Events mit deren Eingabe alles im Spiel erledigt wird, sind so geschickt platziert, dass man auf dem ersten Blick gar nicht erkennt, dass man es mit einem Videospiel zu tun hat. Will eine Figur etwas aus der Tasche holen, so wird ein dezenter Hinweis auf die Hand des Protagonisten projiziert. Dieses Interface wirkt so harmonisch mit den Geschehnissen auf dem Bildschirm, das man sie fast gar nicht mehr wahrnimmt. Dies unterstreicht nochmals, was die Entwickler mit diesem Titel schaffen wollten: Ein filmreifes Erlebnis, dass euch nicht aus dieser Welt mit irgendwelchen Interfaces oder Inventaren rausholt.
Deine Entscheidung...
In jedem Szenario, in der man sich mit den Figuren aus Heavy Rain begibt, warten neue Hinweise und Entdeckungen darauf gefunden zu werden und die Story einen Schritt vor ran zu bringen. Es ist bei Eintritt einer neuen Begebenheit immer ratsam, die Schultertaste aufzurufen und so den inneren Dialog mit der eigenen Figur zu starten. Was bewegt sie gerade und was gilt es als nächstes zu tun? Richtige Rätsel gibt es im Spiel nicht, vielmehr muss man jedem Dialog der Figuren folgen und auf Fragen mit individuellen Entscheidungen antworten. Die Auswahlmöglichkeiten der Antworten schwirren immer um den Kopf des Protagonisten, die in Stresssituationen sogar richtig unwillkürlich durch den Raum schwirren. In den brenzlichen Situationen, in denen ein kühler Kopf gefordert ist, kann dies immer wieder zu Aussagen führen, die man so eigentlich nicht geben wollte. Ein Zurück gibt es dann aber nicht mehr, worüber man sich aber nicht ärgert, denn im wahren Leben wäre es nicht anders. Vielmehr ist man davon fasziniert, dass die Entwickler es verstanden haben, mit dieser vermeidlich beschränkten Eingabe, ein so realistisches System erschaffen zu haben.
Das Besondere an Heavy Rain ist eigentlich, dass es keine falschen oder richtigen Antworten gibt. Es liegt einfach in eurer Entscheidungsmacht, was passieren soll und wie Situationen angegangen werden. Ist man bereit einen Drogendealer zu töten, um an neue Hinweise zu kommen, auch wenn er euch ein Bild seiner kleinen Töchter unter die Nase hält? Diese Gewissensentscheidungen sind euch überlassen und deren Auswirkungen sind immer wieder ganz unterschiedlich. Mal scheint sich kaum etwas zu ändern und mal leitet euch eine Entscheidung in völlig neue Bahnen. Einem Rat der Entwickler können wir in diesem Zusammenhang nur unterzeichnen. Beim ersten Durchlauf sollte man sich in Heavy Rain einfach fallen lassen und mit jeder Konsequenz aus dem eigenen Handeln leben. So wird jeder Spieler sein ganz eigenes Erlebnis mit dem Titel haben und ein erneutes Durchspielen wird nur umso spannender. Es gibt insgesamt drei Schwierigkeitsstufen für das Spiel, deren höchste aber für routinierte Spieler keine große Herausforderung darstellt. Die Spielzeit beläuft sich auf sieben bis acht Stunden, wobei diese natürlich immer wieder variiert.
Journalistin Madison Page zeigt vollen Körpereinsatz bei der Suche nach dem Origami-Killer.[/i]
Seit der Einführung der Quick-Time Events in Videospielen, wurde dieses System noch nie so sehr ausgenutzt, wie nun von Heavy Rain. Das Spiel zelebriert eine regelrechte Orgie dieser Steuerung und dabei macht das Ganze sogar richtig Spaß. Zunächst sei der karge Rest der Steuerung erklärt, denn im Prinzip benötigt man nur die L-2 Taste zum Aufrufen der eigenen Gedankengänge und die R-2 Taste, die eure Figur in Bewegung setzt. Die Navigation ist am Anfang sicherlich sehr gewöhnungsbedürftig und fühlt sich wie die Steuerung eines Panzers an. Dies legt sich aber verdammt schnell im Spiel und nach nur wenig Spielzeit ist man mit dem System vertraut.
Alle anderen Ereignisse werden durch die QTE gesteuert. Egal ober ihr nun einer wüste Schlägerei beiwohnt oder über die Autobahn als Geisterfahrer euer Unwesen treibt. Dabei werden wirklich alle Möglichkeiten des Dual Shock 3 Controllers genutzt. Quantic Dreams hat es verstanden das scheinbar beschränkte System so gekonnte auf die jeweiligen Situationen anzupassen, dass es schon fast authentisch wirkt. Schnelle Bewegungen der Figuren, benötigen schnelle Eingaben, behutsame Streicheleinheiten, müssen ganz sensibel eingegeben werden und komplexe Manöver, verlangen es vom Spieler ab, alle Finger zu verbiegen. Auch die SIXAXIS-Steuerung wird, wie schon lange nicht mehr, sehr hochwertig im Spiel genutzt. Klemmt eine Tür oder will euer Gegenüber einen präzisen Schlag ins Kinn, so reißt man entsprechend seinen Controller in die angegebene Richtung.
Ein Blick in den Spiegel
Der letzte Blick in die Augen einer Videospielfigur, der so faszinierend war, dass man es im ersten Augenblick nicht fassen konnte, hatte man bei Shenmue (Dreamcast Klassiker aus dem Jahre 2000). Natürlich gab es seit dem immer wieder Titel, die technisch noch viel weiter gegangen sind, aber erst jetzt mit Heavy Rain, haben wir ein ähnlich einschneidendes Erlebnis. Die Grafik des Titels, die vor allem bei den Spielfiguren überzeugt, hebt die Messlatte im Spieljahr 2010 gleich sehr weit nach oben. Aber auch diese technische Finesse, ist nur ein Bruchteil des Ganzen. Viel stärker ist einfach die Stimmung die Heavy Rain aufbaut, denn sowohl die mitreißende Geschichte, deren Charakterdarsteller oder die einfache Tatsache, dass es die ganze Zeit im Spiel regnet, lässt euch in einer Welt abtauchen, die so intensiv ist und euch durch alle Gefühlswelten schickt, wie es nur wenige Videospiele jemals geschafft haben.
Einige Fehltritte leistet sich aber auch dieses Meisterwerk, was spätestens beim erneuten Durchspielen deutlich wird. So gibt es immer wieder Kamerawechsel, die eure Figur aus einem anderen Winkel darstellen und dabei muss die Laufrichtung wieder neu angepasst werden, da man ansonsten wieder aus dem Bild läuft. Auch ist es auffällig, dass das Spiel stellenweise an Tearing leidet und Texturen falsch geladen werden. Besonders ist der zweite Punkt uns bei Madison aufgefallen, deren Jacke immer noch von Regen betröpfelt wurde, obwohl sie schon längst im inneren eines Hauses war. Auch die komplexe Story weißt, trotz der zum größten Teil befriedigenden Wendungen, immer wieder kleine Logikfehler auf.
Norman Jayden ist ein FBI Profiler.
Um überhaupt erahnen zu können, was die Entwickler hier geschaffen haben, wurde gleich ein komplettes "Making of" als Bonus-Content in das Spiel integriert. Hier wird beispielsweise gezeigt, das 90 Schauspieler für Heavy Rain gecastet und ins Spiel integriert wurden. Für den Sound hat man einen ähnlich hohen Aufwand betrieben, denn dieser wurde in den berühmten Abbey Road Stuios in London aufgenommen. Der orchestrale Soundtrack ist einfach überragend und zaubert euch Gänsehaut. Bereits nach dem Einlegen der Disk weiß man, dass hier etwas Großes auf euch wartet und von Beginn an der Story werdet ihr in eine melancholischen Stimmung versetzt. Da die BluRay über soviel Kapazitäten verfügt, gibt es neben der (gelungenen) deutschen Sprachausgabe auch weitere Synchronisationen in den Menüs zur Auswahl, die zu jedem Zeitpunkt im Spiel gewechselt werden können.
Positiv:
+ spannende Geschichte (die immer wieder anders ausfallen kann)
+ markante Charaktere, die unglaublich authentisch wirken
+ stimmungsvolles und atmosphärisches Szenario mit hochwertiger Grafik
+ packende Inszenierungen
+ Orchester-Soundtrack
+ hochwertige und frei wählbare Synchronisation
+ die Steuerung ist beschränkt...und trotzdem werden diese beschränkten Mittel gekonnt genutzt
Negativ:
- keinerlei Denkaufgaben/Rätsel
- wenig Abwechslung im Gameplay
- hin und wieder Tearing
- so groß fallen die Veränderungen der Story aufgrund der Spielerentscheidungen nicht immer aus