Von welchem Spiel können wir schon behaupten genau zu wissen, was wir da eigentlich kaufen werden. Schließlich können wir noch so viele Gameplay-Videos schauen und Screenshots bewundern, das eigentliche Spielgefühl stellt sich erst ein, wenn wir den Controller in der Hand halten und den Protagonisten lenken. In der Assassins Creed - Reihe ist diese Gesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt. Seit der Veröffentlichung des ersten Teils Anno 2007 vermittelt uns Publisher Ubisoft das exakt gleiche Spielgefühl. Hier stellt sich die allererste und vielleicht entschiedenste Frage: "Möchte ich das?" Nur nach Beantwortung dieser Grundsatzfrage sollten wir uns überhaupt weiter mit dieser Serie beschäftigen, denn nur so sind wir in der Lage uns mit dem Spiel ehrlich und glaubhaft auseinandersetzen zu können. Nun, Assassins Creed beweist uns jährlich aufs Neue wozu Ubisofts Entwickler imstande sind. Jedes Jahr heben sie einen fesselnden Plot aus, der mit historischen Ereignissen verknüpft und glaubhaft mit der Protagonistengeschichte verwoben wird. Auch das neueste Schöpfungswerk macht da keine Ausnahme. Assassins Creed IV: Black Flag ist aber in vielen Belangen ein Ausreiser. Zum Beispiel bricht es mit der bis jetzt üblichen Zählweise. Jede neue Epoche bekam eine eigene Nummer, alle anderen Teile wurden mit Eigennamen ausgeschmückt. Dieses Werk hier vereint nicht nur beides, es ist auch der offiziell vierte Teil, obwohl wir uns keine 50 Jahre von den Geschehnissen um Haytam und Connor Kenway aus dem dritten Teil befinden. Und das ist noch längst nicht alles mit dem Ubisoft über den Zaun bricht.
Über die Planke
Bereits zu Beginn der Geschichte sind wir alteingefleischten Assassins Creed - Spieler ein wenig überrascht. Wir landen direkt und ohne Umschweife mitten in einem wütenden Seegefecht und lernen den rauen und wilden Freibeuter Edward Kenway kennen. Wie ihr schon richtig vermutet handelt es sich hierbei um den Vater von Haytam und den Opa von Connor Kenway. Die kämpfenden Schiffe versenken sich gegenseitig in der vom Sturm aufgebrausten See und Edward strandet auf einer verlassenen Insel. Dort findet er einen weiteren Überlebenden in einem seltsamen Gewand. Da Edward bemerkt, dass dieser Jemand etwas Wertvolles bei sich trägt, verfolgt er ihn. Nach einem kurzen Kampf besiegt er seinen Gegner und erfährt das dieser Gegenstand in Havanna viel Geld einbringt. Also nimmt Edward die Identität des getöteten Mannes an, indem er sein Gewand stiehlt und bricht auf nach Kuba. Dort muss Edward erfahren, dass er sich scheinbar inmitten eines großen Krieges zwischen zwei Geheimbünden befindet. Doch Edward stellt sich nicht die Frage für welche Seite er kämpft, sondern wer profitabler ist.
Erst danach werden wir mit der "realen Welt" des Animus konfrontiert, doch weit und breit ist keine Spur von Desmond Miles und seinen Freunden. Was ist hier eigentlich los? Wir befinden uns in einer anonymen Egoperspektive und erfahren, dass wir ein neuer Mitarbeiter der Abstergo Entertainment Firma sind, um an der Entwicklung von Animus-Videospielen mitzuarbeiten. Unsere Aufgabe ist es aus den extrahierten Erinnerungen von Desmond Miles Informationen zu ziehen. Häh...? Warum wurde hier so mit der Story um Desmond Miles gebrochen. Sie war stets das Bindeglied zwischen den verschiedenen Teilen. Fünf Spiele lang wurde eine sehr spannende und tiefgründige Story erzählt, die nun schlagartig durch einen Nebenkriegsschauplatz in Egoperspektive ersetzt wird. Das ist leider sehr enttäuschend. Um so besser ist es, dass wir mit Edward Kenway endlich wieder einen verdammt guten Charakter bekommen. Edward ist ein verantwortungsloser und draufgängerischer Pirat (der nebenbei dem Geiger David Garrett zum Verwechseln ähnlich sieht), der aber trotz seiner schlechten Seiten und seiner Liebe zur Freiheit, immer an sein Weib in England denkt. Dieser Widerspruch macht Edward zu einer faszinierenden Person und besonders sein Umgang mit dem Templer- und Assassinenorden zeigen, dass er zunächst sich selbst der nächste ist. Seine Loyalität gilt nur ihm und dem Leben als Pirat. Das er sich zwischen den Fronten eines allzeitumfassenden Krieges befindet fasziniert ihn zwar, verpflichtet ihn aber nicht zu irgendeinem Glauben oder Credo. Edward macht wahrscheinlich genau deswegen soviel Spaß, weil er nicht die fanatischen Züge seiner Vorgänger, beziehungsweise Nachfolger an den Tag legt. Diese Abwechslung tut gut und wir können wesentlich mehr Sympathie vergeben, als noch zu Connors Tagen. Besonders die Story kommt dadurch auf Trab und bringt in dem etwa zehnstündigen Hauptplot interessante Facetten hervor. Wie immer laufen uns historisch bekannte Gesichter über den Weg, wie zum Beispiel "Blackbeard", welche ihren Beitrag in der Geschichte leisten. Eigentlich hat die Story keine Hänger, was gut ist. Deswegen können wir auch die überraschend kurze Länge verkraften.
Ruder hart Backbord
Während sich im Storybereich zum Teil Gutes wie auch Schlechtes getan hat, müssen wir im Gameplay ein wenig genauer hinschauen um gravierende Änderungen zu finden. Natürlich wissen wir wie bereits eingangs erwähnt, dass Assassins Creed seit dem ersten Teil einen einheitlichen Kurs fährt und nur am bereits stehenden Gerüst feilt. Dafür macht es nun mal aber genau das was es richtig gut kann. Der Stealth/Action Wechsel ist grandios. Die Versteckmöglichkeiten im Gelände, sowie die Möglichkeiten des leisen Ausschaltens der Gegner funktioniert wie in den Vorgängern flüssig und reibungslos. Ebenso die offenen Gefechte, die nicht nur optisch wieder ein Augenschmaus sind, gehen flüssig von der Hand. Jetzt haben wir auch direkt eine Anzeige für das richtige Timing, wenn wir Kontern und Verteidigung aufbrechen wollen. Das erleichtert das Kämpfen ungemein. Zu leicht wird es aber keineswegs, denn die Gegner teilen hart aus und rufen auch schon mal Verstärkung. Die KI hat sich zwar in einigen Belangen durchaus verbessert, doch nach einiger Zeit kennt man die neuen Routinen wieder auswendig und kann diesen entgegenwirken. Das bleibt leider auch weiterhin eine Baustelle für Ubisoft. Die Lauf- und Kletterelemente sind gegenüber dem dritten Teil praktisch unverändert geblieben. Nur einige Bewegungsmöglichkeiten wurden hinzugefügt, die aber keine große Auswirkung auf das Spielverhalten haben. Auch keine echte Neuerung, aber dafür eine komplett überarbeitete Sache sind die Seeschlachten. Da ihr eine Menge Zeit auf eurem Schiff "Jackdaw" verbringt, werdet ihr euch schnell mit der durchaus guten Steuerung auseinandersetzen müssen. Euer Schiff steuert sich jetzt nicht mehr ganz so zäh wie noch im letzten Teil. Dafür müsst ihr euch aber nun mit wesentlich mehr Einflüssen auseinander setzen. Besonders das Wetter kann die Hölle sein. Stürme, Windhosen, Blitze und riesige Wellen verlangen euch Einiges ab. Und wenn es dann in die Seeschlacht geht, werden Taktik und gutes Auge beim Zielen verlangt. Die Seefahrt in "Black Flag" macht einen Heidenspaß. Mit dem Fernglas macht ihr Schiffe aus, die ihr im Kanonen- oder Entergefecht versenken oder Kapern könnt. Mit der Beute verdient ihr Geld, was ihr später zur Verbesserung eures Schiffes und eurer Piratenbucht benötigt. Doch es gibt unglaublich viele Möglichkeiten Geld zu verdienen. Gut bewachte Lagerhäuser plündern, Assassinenaufträge erfüllen, nach Schätzen über und Unterwasser suchen, Handelsflotten aufbauen, und, und, und... . Der Aufgabenpool ist umfangreicher den je und die gigantische Seekarte ist voller geheimnisumwitterter Orte. Doch Geld ist längst nicht alles in diesem Spiel. Da gibt es noch einen geheimen Mayaschatz zu finden, der 20 Steine benötigt um die Kammer zu öffnen. Oder aber eine sagenumwobene Templerrüstung, welche 5 Schlüssel bedarf, welche nur hochrangige und gut bewachte Templern tragen, die jeder für sich eine eigene Story besitzt, welche gespielt werden kann. Ganz ehrlich, wir wurden erschlagen mit Möglichkeiten und Aufgaben. Das Sammelfieber nach Truhen, Fragmenten, Tierhäuten für Ausrüstungsupgrades, ja selbst Notenblätter für eure Seemannsbesatzung, welche diese dann singt, beschäftigt Stunden um Stunden. Man vergisst völlig die eigentliche Aufgabe. Und wer dann einfach mal genug von der Rennerei hat, der setzt sich an ein Lagerfeuer am Strand und genießt den fantastischen Sonnenuntergang.
Ja, der Sonnenuntergang in der Karibik ist eine unvergesslicher Anblick. Besonders weil es Ubisoft wieder einmal gelungen ist, dies perfekt einzufangen. Grafisch das wenig überraschend stärkste Assassins Creed weiß diesmal durch die kontrastreichen und kräftigen Farben der warmen Karibik zu begeistern. Die Schwächen zeigen sich nur im Detail und so sehen wir schon mal nervige Pop-Ups oder kriselnde Schatten. Die Wassereffekte sind einfach herrlich und die wechselnden Wetterbedingungen wirken realistisch. Wir freuen uns jetzt schon auf die Next-Gen Version, denn hier wurde uns eine Steigerung versprochen auf die wir gespannt sind.
Auch soundtechnisch erleben wir wieder das gewohnt hohe Niveau. Der Score wird dominiert von den typischen Geigenklängen dieser Zeit in ruhigen Phasen und wechselt sich mit starken Bässen in Actionszenen ab. Die Synchronstimmen sind wieder einmal tadellos. Viele Stimmen erkennt man sofort wieder. Besonders Blackbeards Charakterstimme ist ein Ohrenschmaus.
Flagge zeigen
Der Multiplayer ist in Assassins Creed ein eigenes Standbein. So zumindest hätte es Ubisoft gerne, doch die Realität ist eine Andere. Nach einem kleinen Intro in Form eines Verkaufsgesprächs eines Abstergo Entertainment Mitarbeiters, werden wir in ein komplett generalüberholtes Menü geführt. Schnell erkennen wir die bereits bekannten Muster aus den Vorgängern. Einzig das sogenannte Spielelabor ist eine Neuerung. Hier hinter versteckt sich eine Art Editor, mit der man fast nach Belieben eigene Spielmodifikationen erstellen und danach mit seinen Freunden oder Community teilen kann. Diese können dann bewertet werden und dadurch vielleicht zu einer beliebten Mod aufsteigen. Wir bekommen dadurch aber ein wenig das Gefühl vermittelt, dass Ubisoft selbst nicht wirklich weiß was seine Spieler wollen. So überlässt sie uns Gamern diesen Kreativposten. Das bekannte Meuchelmorden in all seinen Facetten ist aber standardmäßig wieder vertreten und auch das ganze Konzept mit Erfahrungspunkte sammeln, um aufzusteigen für neue Fähigkeiten, finden wir hier in erneut aufgeblasener Variante vor. Das wieder viele Sachen, wie neue Avatare, exklusive Spielfiguren und mächtige Waffen mit Echtgeld erworben werden kann zeigt, warum sich der Entwickler hier jedes Jahr aufs Neue mit dem schnell langweilenden Multiplayer arrangiert.
Positiv:
- starker und gelungener Hauptcharakter- spannender Piratenplot
- wieder tolle Stealth- und Actioneinlagen
- riesige Spielewelt
- immenser Pool an Aufgaben und Möglichkeiten
- Steuerung zur See und zu Land eingängig
- grafischer Höhepunkt der Reihe
- Sound und Lokalisierung perfekt
Negativ:
- kontroverser Haken in Story um Desmond Miles- Gegner KI trotz diverser Verbesserungen leicht durchschaubar
- wieder schwacher und schnell langweilender Multiplayer