Eine alte Weisheit besagt, dass man schlafende Hunde besser nicht wecken sollte. Die Tatsachen aber besagen, dass Square Enix trotzdem die Finger nicht von diesen Hunden lassen konnte und sie nun bald knallwach auf Konsolen und PC loslässt. Ursprünglich handelte es sich bei dem Spiel nämlich um ein Activision-Projekt, doch der Publisher drehte für Entwickler United Front Games den Geldhahn zu, bis schließlich Square ein halbes Jahr später sich dem Spiel annahm und die Fertigstellung ermöglichte. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob sich die ganze Mühe für den GTA-Konkurrenten überhaupt gelohnt hat. Waren Activisions Zweifel an Sleeping Dogs berechtigt oder zahlt sich Square Enix' Tierliebe am Ende doch aus?
Das Konzept in einer kurzen Übersicht: Sleeping Dogs ist ein Open World Cop Drama, welches den Spieler in die Rolle eines Undercover-Cops versetzt, der im fernöstlichen Hong Kong die gefürchtete Verbrecherbande Sun On Yee auseinander nehmen muss - und zwar von Innen heraus. Das ganze klingt nicht nur wie ein verirrter Hollywood-Film, der aus Versehen falsch abgebogen ist und zum Videospiel wurde, auch die Präsentation verstärkt diesen Eindruck. Um die verschiedenen Figuren in der Unterwelt von Hong Kong zum Leben zu erwecken, wurden einige bekannte Schauspieler angeheuert, die den virtuellen Figuren ihre Stimmen zu leihen. Unter anderem wird man die Originalstimmen von Tom Wilkinson, Will Yun Lee, Lucy Liu oder Emma Stone zu Hören bekommen. Daraus resultierend lässt sich über die gebotene Qualität nicht meckern, besonders da das "Drehbuch" der Geschichte solide genug ist, um manch anderen Action-Filmen die Stirn zu bieten. Die Story um Protagonist Wei Shen, sein Werdegang zum angesehen Unterweltverbrecher, sein wachsender Moralkonflikt zwischen seinen dienstlichen Aufgaben als Cop und Verbundenheit zu seinen zwielichtigen Freunden, aber auch Handlungen und Geschichten aller Nebenfiguren werden gekonnt spannend erzählt und cineastisch in Szene gesetzt. Allerdings kann trotz allem Sleeping Dogs über einen Fakt nicht hinwegtäuschen: Es ist kein Film. Es ist ein Videospiel und hat somit vor allem ganz andere Aufgaben zu erfüllen als nur eine spannende Geschichte zu erzählen. Vor allem eine gewisse Interaktivität in der Story hätte dem Spiel besonders mit der Thematik vielleicht ganz gut getan, denn in einen Gewissenskonflikt kommt der Spieler nie, sondern muss nur dem Protagonist selbst dabei zuschauen. Nichtsdestotrotz kann man durch eine cineastische Erzählweise auch das Spielerlebnis nebenbei ein wenig versüßen. Und zugegeben: Das macht Sleeping Dogs einfach sehr gut.
Wie schon zuvor erwähnt wirkt Sleeping Dogs stark vom bekannten Open-World-Genre-Spiel GTA inspiriert. So stark sogar, dass man sich nicht weit aus dem Fenster lehnen muss, um es als "GTA-Klon" zu bezeichnen. Klingt abwertend, trifft aber relativ schnell wie sich alles spielt und anfühlt. Zu seinem großen Vorteil ist vor allem Hong Kong ein in Videospielen noch reichlich unverbrauchtes Szenario, sodass es trotz vielen Parallelen einen visuell sehr erfrischenden Eindruck macht. Besonderes Lob verdient die Gestaltung der Stadt, die durch viele Details sehr organisch und lebensecht wirkt. So wechselt das Szenario zwischen nächtlichen, enggedrängten und von bunten Neonschildern beleuchtete Märkten, zu traditionellen Tempelanlagen, zu modernen, sauberen Geschäftsvierteln mit glänzenden Hochhäusern bis hin zu dreckigen, heruntergekommenen Gassen mit zweifelhaft aussehenden Massage-Clubs. Das virtuelle Abbild der fernöstlichen Metropole schafft es also zweifellos die besondere Atmosphäre und den Look des Vorbilds einzufangen. Auf einem technischen Level bleibt die Grafik aber hinter der hübschen Gestaltung leider etwas zurück. Hier und da wirken einige Texturen sehr verwaschen und die Animation erreicht nicht immer den hohen Standard, den die cineastische Präsentation eigentlich verlangen würde. Das ganze ist aber verkraftbar. Sleeping Dogs ist weit entfernt davon ein hässliches Spiel zu sein und besitzt visuell einen eigenen, festen Charakter.
Beißende Hunde
Das Gameplay lässt sich grob in drei Kerninhalte unterteilen. Sprich: Alle Missionen, die Wei Shen übernimmt, sei es für die Polizei oder für die Sun On Yee, haben eines von drei Aspekten als zentrales Spielelement. Entweder muss Shen seine Fäuste sprechen lassen, darf mit einer Knarre herumballern oder fährt mit einem fahrbaren Untersatz durch die Straßen Hong Kongs. Das ganze lässt sich natürlich frei kombinieren, sodass eine Schießerei mit anschließender Fahrerflucht erfolgen kann, man am Ende einer Lieferung einige Handlager über den Haufen prügelt oder dass ein Bandenstreit mit handgreiflichen Argumenten zu einem Schusswechsel wird. Besonders zu Anfang des Spiels muss sich der Protagonist eher auf seine Fähigkeiten im Handgemenge verlassen. Das Spiel bedient sich hierbei einem Martial Arts-Kampfsystem, welches stark an das Free Flow-System aus Rocksteadys Arkham-Spielen erinnert. Wei Shen findet sich in der Regel von einigen Gegnern umkreist, sodass er zu allen Seiten austeilen muss, um seine Haut zu retten. Da der Cop nicht ganz so akrobatisch ist wie die verkleidete Fledermaus, ist etwas mehr Beinarbeit bei den Kämpfen gefragt, um sich in die richtige Position für einen Angriff zu bringen. Das gilt besonders für Tritte, die man nach hinten oder zu den Seiten austeilt, damit anstürmende Gegner Shen nicht überwältigen. Diese lassen einem nämlich nicht immer Zeit sich auf einen einzelnen Gegner zu konzentrieren, um die effektiveren Kombinationen aus Schlägen und Sprungtritten auszuführen. Zur Verteidigung gibt es aber die Konter, die ebenfalls fast genauso funktionieren wie in dem Batman-Vorbild. Steht ein Feind kurz vor dem Angriff, leuchtet er rot auf, sodass ein schneller Druck auf den Konter-Knopf einen raschen Gegenangriff einleitet. Kennt man so fast alles schon, spielt sich aber genauso flüssig und angenehm.Um die Prügeleien etwas aufzulockern, kann man auch die Umgebung in den Kampf miteinbeziehen. Wer einen Feind am Kragen greift, kann nicht nur mit ihm als Rammbock voran durch eine Gegnerkette brechen, sondern auch seinen Kopf gegen eine Wand oder einen Laternenpfahl knallen lassen. Kreativere Methoden zur Entsorgung lassen sich in der jeweiligen Örtlichkeit finden. Feinde lassen sich in große Müllcontainer hineinwerfen, in eine Telefonzelle treten oder in Aquarien rammen. Deutlich brutalere und unschönere Methoden beinhalten eine Reihe von Fleischerhaken, Ventilatoren oder Brennöfen, die teilweise unnötig blutig wirken. Zumindest Zartbesaitete sollten sich zweimal überlegen, ob sie an den alles andere als zimperliche Gewaltorgien teilnehmen wollen, denn Sleeping Dogs präsentiert seine Brutalität sehr detailverliebt und lässt Knochen knacken, das Blut spritzen und Schädel zertrümmern. Auch die im Spiel gezeigten Folterszenen sind nicht gerade ohne. Das Gleiche gilt auch dafür, wenn Shen in einem Kampf an eine Waffe kommt, indem er z.B. einen Gegner mit Messer oder Brechstange entwaffnet. Zumindest weiß das Kampfsystem durch seine subtile aber immerhin dauerhaft präsente Abwechslung zu gefallen, besonders da verschiedene Gegnertypen mit verschiedenen Stilen und Kampfverhalten unterschiedliche Taktiken erfordern. Da sich Gegnergruppen immer aus mehreren Typen zusammensetzen, erfordert es doch etwas Überlegung welchen Gegner man zuerst ausschaltet, ob man defensiv bleibt oder zum Angriff übergeht und von welchem Feind man sich erst einmal lieber fernhält. Weniger kreativ ist dagegen das Herumballern. Hierbei bedient sich das Spiel nur einer altbekannten Cover-Mechanik, wie man sie aus fast jedem Third-Person-Shooter kennt. Eine Schultertaste zielt, die andere feuert. Wer in Deckung ist, kann sich rauslehnen um zu feuern oder ohne Zielen blind auf Gegner einschießen und hoffen, dass er auch so trifft. Immerhin: Wer aus der Deckung hervorspringt, der kann in Slow Motion auf die Gegner zielen und feuern. Das erfindet zwar das Rad nicht neu, macht die Schussabschnitte aber unter dem Strich sehr solide, wenn auch unbeeindruckend.
Doppelte Karriereleiter
Selbstverständlich wird man nicht immer zu Fuß unterwegs sein, denn natürlich spielen auch die Fahrzeuge in Sleeping Dogs eine tragende Rolle. In Hong Kong gibt es dabei auch eine große Auswahl, die von kleinen Motorrollern, zu Hühnerlastern, zu Bussen, Krankenwagen oder Sportwagen reicht. Diese kommen nicht nur zum Einsatz, um Shen in der großen Stadt von A nach B zu bringen, in diversen Missionen wird man auch an Verfolgungsjagten teilnehmen, sowohl als Jäger als auch als Gejagter. Das sehr arcadelastige Rennspiel-Flair wird aber noch mit einigen Action-Einlagen gewürzt. Nicht nur lässt sich von einem Wagen während der Fahrt auf einen anderes springen, um kurzerhand den Fahrer aus dem Gefährt zu werfen und es fortan sein eigen zu nennen, auch kann man sich aus dem Fenster lehnen um sich bei vollem Tempo auf der Autobahn ein Schusswechsel mit anderen Wagen zu liefern. Besonders spektakulär wird es dann in Szene gesetzt, wenn man die Reifen eines verfolgenden Autos erwischt, sodass sich der Wagen anschließend in Slow Motion funkenschlagend überschlägt und beim Aufprall zu Altmetall wird. Zwar hat man sich daran auch bald satt gesehen, aber ein cooles Detail bleibt es trotzdem. Leicht albern wird allerdings der Von-Auto-zu-Auto-springen-Stunt, da dieser nicht nur viel zu leicht auszuführen ist, sondern bei Verfolgungsjagten mit der Polizei es zu einfach macht selbst schwere Polizeibusse kurzerhand zu entführen. Ohne weiteres kann man so nacheinander gut fünf bis sechs Polizeiwagen kapern, wobei die bewaffneten Dienstmänner völlig unfähig sind selbst ihre gepanzerten Einsatzfahrzeuge zu schützen.Wenn Action-Spiel, Racer und Third-Person-Shooter noch nicht genug im Genre-Mix ist, dann würzt ein wenig Rollenspiel vielleicht noch die Mischung ab. Zumindest verdient sich Wei einige Erfahrungspunkte in Missionen, die seine Fähigkeiten verbessern. Erfahrungspunkte gibt es gleich drei verschiedene und zwar in Ansehen, Cop und Triade. Mit mehr Ansehen wird man durch verschiedene Nebenmissionen belohnt wie zum Beispiel durch illegale Autorennen, durch Untergrund-Fight Clubs oder durch nicht ganz gesetzeskonforme Gefälligkeiten für zahlungswillige Auftragsgeber. Ein hohes Ansehen gibt einem nicht nur diverse Vorteile im Kampf, auch kann man bestimmte Autos und Klamotten erst mit einem gewissen Rang kaufen. Erfahrungspunkte für Cops und Triaden gibt es in allen Hauptmissionen des Spiels, die auch die Story weiter vorantreiben. Triadenpunkte prasseln für brutale Aktionen gegen Feinde aufs Konto, Cop-Punkte werden einem dafür für Sachbeschädigung oder Verletzung Unschuldiger abgezogen. Dies gilt aber nur während der Mission, außerhalb dieser gibt es keine Konsequenzen für spontane Amokläufe durch Hong Kong, wenn man von der Polizeiverfolgung absieht. Momente wie diese zehren allerdings an der Glaubwürdigkeit der Story und des Hauptcharakters, der für seine Fehltritte außerhalb der Missionen einfach kaum bestraft wird. Im Gegensatz zum Ansehen steigen die Fähigkeiten durch gesammelte Punkte aber nicht automatisch, sondern erlauben einem zwischen jeweils zwei Fähigkeitsbäumen zu wählen und dort die Punkte in verbesserte Eigenschaften zu investieren. Durch Cop-Punkte lässt sich z.B. eine verlängerte Slow Motion bei Schusswechseln kaufen, bei Triaden besserer Widerstand gegen Waffenschaden. Weitere Verbesserungen halten sich darüber hinaus noch in ganz Hong Kong versteckt. Neben verstecken Geldkoffern für zusätzliches Cash, gibt es noch Schreine, an denen Wei beten kann um seine Gesundheit zu erhöhen oder Jade-Statuen für dessen Auffinden einem in der Trainingsschule neue Nahkampfangriffe beigebracht werden. Zwischendurch reichen Essen oder Getränke an Nudelständen oder Geschäften für temporäre Boni oder auch ausgiebige Massagen in diversen Salons. Zu Entdecken gibt es auf alle Fälle immer etwas.
Genretypisch verzichtet Sleeping Dogs zwar auf einen Online-Modus, bietet aber das sogenannte Social Hub, eine Art Leaderboard für diverse Tätigkeiten im Spiel. Dort kann man gewisse Errungenschaften wie weitester Sprung mit dem Auto oder längster Wheelie mit dem Motorrad mit seinen Freunden vergleichen und Herausforderungen annehmen. Das ganze ist zwar eine nette Idee, aber nicht sonderlich motivierend, auch wenn man bereits gespielte Missionen für eine bessere Punktzahl erneut versuchen kann. Der Soundtrack besitzt übrigens ebenfalls eine gewisse Vielseitigkeit. Von Hip Hop-Tracks von Two Fingers oder Bonobo zu Metal von Machine Head oder Soulfly bis zu klassischer Musik von Bach oder Wagner bekommt man alles zu hören, wenn man durch die Autoradios schaltet.