Als Teil einer großen RPG-Offensive versuchte Nintendo sich selbst Rollenspiele für die Wii zu erschaffen, nachdem kaum ein anderer Hersteller es versuchte. Angeführt von Xenoblade Chronicles letztes Jahr, begleitet von The Last Story diesen Frühjahr, schließt nun Pandoras Tower diesen Rollenspiel-Ausschuss an die Wii ab. Doch wo Monolith Software und Mistwalker noch mit großen Studionamen für ihre Rollenspiele werben konnten, muss Entwickler Ganbarion für Pandoras Tower auf Nintendos Flankenhilfe vertrauen. Was für ein Rollenspiel können wir von Entwicklern erwarten, die bisher nur für ihre Arbeit an One Piece-Versoftungen wie Unlimited Cruise bekannt waren? Und noch viel wichtiger: Kommt bei der Wii auch das Beste zum Schluss oder verschoss Nintendo schon zu früh sein bestes Pulver?
Shadow of Castlevania
Die junge Helena wird von einem fürchterlichen Fluch heimgesucht. Immer weiter verwandelt sie sich in eine grässliche Bestie und verliert ihre Menschlichkeit, doch ihr Geliebter Aeron will das Mädchen nicht ihrem Schicksal überlassen und nimmt sie mit sich zur Narbe eine gewaltige Schlucht über die sich große Ketten spannen, auf denen die 13 Türme der Pandora errichtet sind. Dort gibt es das einzige Heilmittel für ihre fortschreitende Krankheit: das rohe Fleisch von Monstern. Doch während gewöhnliches Bestienfleisch ihre Verwandlung nur kurzzeitig aufhält, kann nur das Fleisch der zwölf Meister in den Türmen den Fluch vollständig lösen.
Die Geschichte erinnert dabei atmosphärisch an den PlayStation 2-Klassiker Shadow of the Colossus in einer etwas cineastischeren Präsentation. Anstatt aber Kolosse zu töten, sucht Aeron die Meister der Türme auf, wobei das ereignislose Umherreiten durch 12 Dungeons à la Zelda ersetzt wird. Diese warten natürlich mit einer ganzen Reihe böser Monster, Schätze, Fallen und Rätsel auf.
Anders jedoch als Zelda richtet sich das Design des Spiels deutlich mehr an erfahrene Spieler: Händchenhalten gibt es nicht. Das Navigieren durch die gefährlichen Türme erweist sich durch verschiedene Kletterübungen, Rätsel um Wasserräder, magische Portale oder andere Mechanismen durchaus als anspruchsvoll. Bevor sich nämlich die Tür zur Bosskammer öffnet, müssen erst die schweren Ketten entfernt werden, die das Tor zu halten. Und diese befinden sich natürlich versteckt und verteilt in dem Turmgeflecht.
Das Konzept dürfte am nächsten wohl bei Castlevania liegen, da Pandoras Tower seinen Abenteueranteil mit Rollenspielcharakter würzt. Das Besiegen von Monstern gibt Erfahrungspunkte, die Aerons Werte erhöhen. Dafür findet er eine kleine Auswahl neue Waffen in den Türmen, welche er aufwerten kann. Aber auch das Herstellen von eigenen Tränken, Bomben oder neuen Ausrüstungsgegenständen durch das Sammeln von Zutaten im Turm ist möglich. Optisch hat das Wii-Rollenspiel aber auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Konamis Vampirjagt. Besonders wenn man sich zwischen turmuhrähnlichen Mechanismen entlanghangelt oder dunkle Verließe erkundet, hat man das Gefühl, dass sich Graf Dracula hier heimisch fühlen würde. Die Grafik, die technisch als Wii-Titel natürlich keine Bäume ausreißt, ist mit dem düster-nüchternen Artstil allerdings durchaus gelungen und wird mit passend melancholischer bis aufregenden Musik unterlegt, welche von einer weiblichen Gesangsstimme bis zu Orgelklängen und Streichinstrumente unterstützt wird.
Doch anstatt einer Peitsche trägt Aeron die sogenannten Orakloskette, welche jedoch keineswegs nur dazu benutzt wird auf Gegner einzudreschen. Die Funktionen der Kette sind ungleich vielfältiger, sowohl im Kampf, als auch beim Erkunden der Türme. Über den Wiimote-Pointer lassen sich Ziele am Bildschirm erfassen und mit einem Knopfdruck hängt sich die Kette daran. Nun reicht das schon dafür aus, dass Aeron weit entfernte Orte erreicht, aber auch zum Hangeln, Schwingen und Klettern über tiefe Abgründe wird das Allzweckgerät seinen Einsatz finden. Während man als Hauptwaffe sein Schwert oder alternative, auffindbare Kriegswerkzeuge zum Monster bekämpfen einsetzt, findet die Kette in Kämpfen als hilfreiches Werkzeug seinen Einsatz.
So lassen sich Gegner kurzerhand mit der Kette fesseln, um sie bewegungsunfähig zu machen. Wenn zwei Monster aneinander gekettet werden, erhalten beide den gleichen Schaden, auch wenn man nur auf eines draufprügelt. Wer sich gleich mehreren Monstern gegenübersieht, kann kleinere Gegner auch durch die Kette zum Wurfgeschossen umfunktionieren oder schwingt sie wie einen Morgenstern durch den Raum umher. Diese gewisse taktische Raffinesse auch innerhalb kleiner Kampfbewegungen verhindert, dass die Kämpfe auf Dauer eintönig werden. Aber auch weil im Laufe des Spiels immer neue Gegnertypen vorgestellt werden, die auf ihre eigene Art und Weise angegangen werden müssen, um über sie zu siegen.
Wer zudem mit der Kette Gegenstände oder Monster auf dem Bildschirm anvisieren will, muss sich auch keinen Stress machen: Während man anvisiert, wird die Zeit etwas verlangsamt, sodass man nicht während des Zielens unnötig verwundbar ist. Dummerweise registriert der Pointer der Wiimote nicht immer exakt das, was man anwählen möchte. Besonders bei größeren Monstern kommt es vor, dass sich die Kette um das falsche Körperteil schlingt. Anstatt einem Gegner also die Sicht zu nehmen, indem man auf seinen Kopf zielt, erwischt man vielleicht seinen Arm, was schnell dazu führt, dass einen kräftigere Brocken dann zu sich ziehen, statt umgekehrt. Nicht sonderlich hilfreich ist hierbei auch die starre Kameraposition, die sich niemals ändern lässt. In der Regel ist die Kamera zwar gut automatisch positioniert, ab und zu kann sie es aber durchaus noch mehr erschweren, bestimmte Stellen des Gegners anzuvisieren.
Zum Einsatz kommt die Kette aber auch bei den Bosskämpfen am Ende jedes Turms. Diese sind dabei noch einmal ein besonderes Highlight und hier kommt der Vergleich mit Shadow of the Colossus noch einmal gut zur Geltung. Obwohl sie keineswegs die Größe der Giganten erreichen, ist es auch bei ihnen notwendig, dass man über Beobachten und Ausprobieren herausfindet, wie man ihre Schwachstelle offenbart. Mit einer Mischung aus klugen visuellen Hinweisen zum Kampf und einem angenehmen Schwierigkeitsgrad ergeben die Meister einen würdigen Abschluss von den solide bis gut designten Turmabschnitten.
Herzstück der Geschichte ist die Beziehung zwischen Held Aeron und der verfluchten Helena. Während das Spiel in Stücken immer mehr Hintergrundgeschichte von den Türmen und dem Fluch offenbart, überrascht Pandoras Tower aber vor allem wegen den düsteren Thematiken, die es anschlägt. Solange man sich nicht durch die Türme kämpft, lässt sich mit Helena interagieren. So kann man mit ihr Plaudern, ihr Geschenke machen oder sie um die Übersetzung gefundener Texte bitten, die nicht nur für ordentlich Geld verkauft werden können, sondern auch weiteres Hintergrundwissen liefert. Viele kleine Zwischensequenzen und Details zwischen den beiden vertieft die emotionale Geschichte immer weiter, umso erschreckender wirkt der fortschreitende Fluch des Mädchens, der es im Laufe der Zeit immer wieder zum grotesk aussehenden Monster verformt. Von Monstern erbeutetes Fleisch lässt sie vorübergehend wieder zum Menschen werden, doch die Bürde des Fluchs bleibt konstant in der Luft und lässt weder Aeron, noch den Spieler zu einem Zeitpunkt los.
Allerdings ist der Fluch auch der Grund für den konstanten Zeitdruck, dem Spieler innerhalb der Türme ausgesetzt sind. Eine Anzeige verrät, wie weit der Fluch voranschreitet, während man sich durch die Dungeons navigiert. Fällt diese Anzeige auf null, ist das Spiel automatisch vorbei. Daher ist es notwendig, ab und zu von den Türmen zum Ausgang zurück zu kehren, um Helena etwas Fleisch zu bringen. Zwar trägt diese Sorge um Helena atmosphärisch zur Geschichte bei, das ändert aber nichts daran, dass dies auch zu andauerndem Backtracking führt. Pandoras Tower unterstützt diese Mechanik dadurch, dass beim Fortschreiten durch die Türme immer kleinere Abkürzungen zum Ausgang freigeschaltet werden, sodass man bei der Rückkehr nicht immer wieder durch den ganzen Turm rennen muss. Dennoch wird die Funktion spätestens ab den späteren und verwinkelten Türmen zur Last und sorgt unnötig für nerviges Hin- und Hergerenne.
Das ständige Zurückkehren bringt dafür aber auch immer neue Gelegenheiten für den Spieler ,sich mit Helena zu beschäftigen und neue Gesprächsoptionen oder Geschenke freizuschalten. Dies hat im Besonderen deshalb einen Sinn, weil die Stärke der Beziehung zwischen Aeron und Helene zu alternativen Enden führen. Aber auch so ist die tragische Liebesgeschichte der stärkste und am meisten motivierende Aspekt der Geschichte, die über das gut 15 Stunden lange Abenteuer zu unterhalten weiß. Darüber hinaus eröffnet das Spiel immer neue Mysterien, die die Handlung umsichtig erweitern. Ob nun die merkwürdigen Träume über ein Ehepaar, welches im Krieg ihr Kind verlor oder Helenas fortschreitende Veränderung, die sogar das Heilmittel in Frage stellen lässt Pandoras Tower ist eine subtil-düstere Erzählung, die man gerade von Nintendo nicht erwartet hätte.
Positiv
+Emotional erzählte Geschichte
+Düsterer Artstil und Musikuntermalung
+Gutes Leveldesign
+Herausfordernde Bosskämpfe
+Vielseitige Orakloskette
Contra
-Permanenter Zeitdruck
-Starre Kamera
-Steuerung und Wiimote-Pointer manchmal zu ungenau