"Also FIFA 12, rotiere, damit ich dich verfluchen kann!"
Liebes FIFA! Herzlichen Glückwunsch, dein Papa EA Sports ist zwanzig Jahre alt geworden. 1994 wurdest du von ihm auf die Welt gesetzt und heute feiern wir dich schon in deinem neunzehnten Gewand, ohne deine kleinen Geschwister FIFA Street und die WM-Ausgaben mitzuzählen. Weißt du eigentlich, dass du einen ganz besonderen Platz in der Gamingkultur einnimmst, ohne dass diese es überhaupt wahrnimmt? Kein Spiel schafft es jedes Jahr einen solchen Hype zu entfachen und jedes Jahr schlägst du sämtliche Verkaufsrekorde. In der Gamingszene bist du aufgrund deiner sportlichen Wurzeln nicht als sogenanntes "Core-Game" akzeptiert, trotzdem bist du das Spiel, welches die treueste Community hat und weswegen du auch permanent das ganze Jahr gezockt wirst. In der Spielergemeinde ist dein Ruf aufgrund der sich wiederholenden Veröffentlichung nicht immer der Beste, dabei schaffst du es deine Fans trotzdem bei der Stange zu halten und stets zielstrebig Verbesserungen einzubringen. Und da ist noch der kleine freche Nachbarsjunge aus dem Hause Konami, der dir immer wieder versucht in die Parade zu fahren. Vor einigen Jahren hatte er sehr viele Sympathien auf seiner Seite, doch mit der Zeit gelang dir das große Comeback und du standest wieder uneingeschränkt im Rampenlicht. Natürlich profitierst du von deinem reichen Papa, der dich stets mit allerlei Lizenzen und einer Menge technischen Schnickschnack ausrüstet, aber gerade deine unglaubliche spielerische Vielfalt zeigt deinen guten Charakter. Jetzt ist es also wieder soweit, du liegst in frischen Glanz und mit neuem Cover im Verkaufsregal und weißt genau, dass die Leute auch dieses Jahr nicht die Finger von dir lassen können. Doch bist du es wieder wert, dass ganze Jahr gezockt zu werden und mit dir viel Blut, Schweiß und Tränen zu opfern? Schließlich muss dir klar sein, dass viele kaputte Controller und Headsets auf deine Kosten gehen, also noch einmal die Frage: "Bist du es wieder wert?"
Die rote Zwölf prangt im Ladebildschirm und mit einem lauten "Endlich!" geht die Zockerszene in die neue Saison. Mit zwei großen Quantensprüngen hat EA Sports dieses Jahr sein Produkt beworben. Da wäre zum Einen Die neue "Impact-Engine", eine Mechanik die dafür sorgt Kollisionen zwischen Spielern realistischer wiederzugeben. Nicht nur das, sie ist auch in der Lage Dribblings, Zweikämpfe und Körperhaltung bei Schüssen glaubwürdiger darzustellen. Sind früher Spieler stupide ineinander gelaufen, versuchen sie nun mit Körperdrehungen auszuweichen, oder durch Abstützen Stürze zu verhindern. Die flüssige Motorik bringt leider nicht nur eine elegantere Spielweise an den Tag, sie sorgt auch für eine Menge Lacher. Der Grund hierfür ist, dass die "Impact-Engine" wohl noch in den Kinderschuhen steckt. Zu viele komische Bewegungen mit seltsamsten Pirouetten und Stürzen sorgen für eine Menge unfreiwilliger Lacher. Da laufen zwei Spieler ineinander, fallen um und behindern sich gegenseitig beim Aufstehen. Mancher Spieler prallt ab wie an einer Gummiwand und andere wiederum schieben alles links und rechts aus dem Weg. Auch beim Clipping hapert es noch in der Feinabstimmung, denn oft genug ragen Arme und Beine durch Spieler hindurch. Trotz dieser unreifen Präsentation ist die neue Engine der richtige Schritt nach Vorn, denn sie ist gegenüber dem alten System trotz ihrer Geburtswehen ein Fortschritt. Man kann sich hier sicher sein, dass EA noch umfangreich nachbessern wird.
Als weitere große Neuerung ist das komplett überarbeitete Abwehrsystem eingeführt worden. Das sogenannte "Tactical Defending" splittet sich nun in zwei grundlegende Arten der Verteidigung. Die Erste ist das typische Stellen des Gegenspielers, um ihm die Geschwindigkeit des Angriffes zu nehmen und Anspielstationen nach vorn zu versperren. Der ballführende Spieler hat es schwer den Verteidiger zu umdribbeln, verliert aber dadurch nicht den Ball, da er nicht direkt attackiert wird. Die zweite Verteidigungsart ist das aggressive Tackling, mit dem der Verteidiger in den Mann gehen kann, oder den Gegenspieler durch Schieben und Bedrängen an der Ballführung hindert. Hier ist allerdings das Timing extrem wichtig und in den ersten Spielen fällt dies sehr schwer. Das Ergebnis ist meist, dass der Gegner einfach am Verteidiger vorbei dribbelt, da dieser sich mit falschem Tackling selbst außer Gefecht setzt. Der Trick ist also, dass Stellen und Tackeln sinnvoll und zum richtigen Moment einzusetzen, dann erschließt sich dem Spieler am Controller auch die ungemeine Verbesserung des Systems. Zwar kann man optional auch weiterhin nach dem klassischen System verteidigen, doch in den meisten Online-Spielmodi ist das neue System eine Pflichtveranstaltung. Schon allein aus diesem Grund ist es empfehlenswert mit dem neuen System warm zu werden.
Aber auch die CPU selbst hat in Sachen Verteidigung einiges gelernt. Besonders der berühmte Pass in den Lauf per LB+Y hat viel von seiner Tötlichkeit verloren. Solche Pässe werden nun einfach schneller erkannt und entsprechend abgefangen. Auch die Torwart-KI wurde verbessert, was sich besonders im 1gegen1 und bei den typischen Schlenzern aus der Distanz bemerkbar macht. Das Stellungsspiel der Torhüter ist einfach überlegter und das sinnlose Herausrennen wurde schon bereits in FIFA 11 entschärft.
In der Offensive sieht es hingegen ein wenig durchwachsener aus. Zwar bewegen sich die eigenen Mitspieler in den meisten Fällen durchaus sinnvoll nach vorne, was sich besonders bei schnellem Konterspiel bemerkbar macht, da die Spieler häufig die richtige Lücke suchen und auch nicht mehr so oft ins Abseits laufen. Beim Stellungsspiel vor der Abwehr schaut es dann leider nicht mehr so rosig aus, denn hier fehlt es oft an Bewegung vor der Abwehrreihe. Schnelles Kreuzen oder der clevere Doppelpass um die Innenverteidiger klappt zu selten. Da bleibt oft nur der Pass nach hinten um die gegnerische Abwehrreihe wieder herauszuziehen oder der Flügellauf für eine Flanke. Der große Vorteil der Offensive ist das weiterhin verfeinerte "Precision Dribbling", mit dem der ballführende Stürmer nun jede Lücke präzise ausnutzen kann und durchaus eine Abwehrkette wie Slalomstangen stehen lässt. Das setzt allerdings hohes Geschick voraus und der kleinste Fehler wird mit sofortigem Ballverlust bestraft.
Eine der ganz großen Stärken von FIFA waren schon immer die umfangreichen und vielseitigen Spielmodi. Auch FIFA 12 macht da keine Ausnahme und stellt wohl den zwischenzeitlichen Höhepunkt der Serie dar. Eine ganz große Verbesserung ist die Tatsache, dass Ultimate Team nun schon bereits von Anfang an mit in das Spiel integriert wurde und nicht als Add-On angeboten wird. Eine feine Sache, bedenkt man die Entwicklung dieser Spieloption. Früher mussten wir dafür sogar extra Geld bezahlen, heute ist sie schon in der Vollversion dabei. Allerdings hat sich an Ultimate Team gegenüber dem letzten Jahr so gut wie gar nichts geändert. Scheinbar setzt EA Sports hier auf das Motto: "Never change a winning Team", denn Ultimate Team gilt als kleiner Goldesel aufgrund der Möglichkeit, dass hier sogenannte Boosterpacks mit Spielerkarten käuflich erworben werden können. Ein Manko bei den Fans ist aber wieder einmal das Fehlen eines richtigen Sammelalbums, wie es noch in früheren Ausgaben zu finden war. Gerade diese Sache war für viele Spieler ein großer Anreiz Ultimate Team zu spielen, nur um sich ganz und gar der Sammelsucht hinzugeben. Sich ein Traumteam zusammenzustellen, ist auch mit dem Teameditor bei FIFA 12 möglich, also was treibt uns dann noch zu Ultimate Team? Für den Anfang ist das Boosterpack aufreißen eine feine Sache. Mit der Zeit verkommt es aber doch zu einer langatmigen Münzsammelei, dabei wäre es für EA so einfach gewesen das Panini-Fieber in uns zu wecken.
Doch es gibt noch viele andere tolle Spielmodi, die sich an Langzeitmotivation gegenseitig überbieten. Eine exzellente Grundlage hierfür bietet mal wieder der "Virtual Pro", der per herunterladbaren Gameface erneut mit Individualität zu überzeugen weiß. Es war, ist und bleibt erstaunlich wie der Spieler in der Lage ist ein Alter Ego auf die Mattscheibe zu zaubern, der einem zu verwechseln ähnlich ist. Das per PC-Programm kreierbare Gameface, welches sich über selbstgeschossene Fotos seines eigenen Gesichts herstellen lässt, ist mit der neuen Animation der Spieler sogar verbessert worden. Der so selbsterstellte Virtual Pro kann in fasst allen Spielmodis eingefügt werden. Seine hauptsächliche Anwendung findet dieser aber in den Spielmodis: Be a Pro, Karrieremodus und Pro Clubs. Aber auch die 400 Aufgaben, die ein Virtual Pro erfüllen kann, um dadurch seine Profilwerte zu verbessern, motivieren ungemein.
Der Karrieremodus ist erneut um einige Dinge erweitert worden. So gibt es nun in der Managerkarriere die Möglichkeit ein umfangreiches Scoutingnetz zu erstellen um so neue Talente für seinen Mannschaftskader zu finden. Auch das Transfersystem ist nun umfangreicher und spannender gestaltet worden. Besonders der letzte Tag des offenen Transferfensters ist mit einer stündlichen Aktualisierung gesegnet und lässt knallharte Verhandlungen bis zur letzten Minute zu.
In einer Sache zeichnet sich FIFA aber gegenüber anderen Spielen besonders aus. Online-Gaming wird hier nicht nur groß geschrieben, sondern hebt das Spiel in eine eigene Dimension. Wenn man FIFA nicht online spielt, verschließt sich ihm eine ganze Welt. Besonders das Ranglistensystem wurde komplett umstrukturiert. Die Zeiten sind vorbei indem es nur um einzelne Spiele ging indem stupide Punkte verteilt oder abgezogen wurde. EA hat sich dem Ligasystem angenommen, welches bereits bei der FIFA WM 2010 - Ausgabe eingeführt wurde. Der Erfolg gab ihnen recht, doch damals war eine Einführung bei FIFA 11 nicht mehr möglich. Doch jetzt dürfen wir wieder Duelle in verschiedenen Ligen führen, indem sich Spieler befinden, die sich auf gleichem spielerischem Niveau bewegen. Wer in zwölf Saisonspielen genügend Punkte sammelt, steigt in die nächsthöhere Klasse auf. Wer zu wenige Spiele gewinnt, steigt ab. Ein einfaches, aber unglaublich motivierendes System. Zusätzlich wurde nun dem Problem der sogenannten ständigen Duelle der Topmannschaften entgegengewirkt. Ein echter Aderlass für Spieler die genau aus diesem Grund die Ranglistenspiele gehasst haben, da sie immer nur gegen Barcelona, Manu oder Madrid spielen mussten. Jetzt wählt der Spieler eine Mannschaft und wird gegen einen Spieler mit gleicher Teamstärke gepaart, ohne dass beide Spieler ihre Auswahl vorher preisgeben müssen. So ist gewährleistet das Spieler sich auch mal mit 3-Sterne Teams aufs Feld trauen dürfen und gegen eine gleichwertige Mannschaft antreten.
Ein ähnliches System ist nun auch gegen Spieler aus der eigenen Freundesliste möglich. In den sogenannten Online-Freundschaftsspielen können sich zwei Freunde in einer Serie von Spielen gegeneinander um Punkte duellieren. Wer zuerst sechzehn Punkte erreicht hat, gewinnt die Saison. Doch das große Herzstück des Onlinegamings ist und bleibt der "Pro Club". Spieler treten mit ihrem erstellten Virtual Pro einem solchen Club bei und bestreiten auf einer speziellen Position, zusammen mit ihren Clubkameraden von 3-11 Spielern, Duelle gegen andere Clubs um Ranglistenpunkte für Saison- und Gesamtwertungen. Dabei hat sich im Vergleich zur letzten Ausgabe oberflächlich allerdings wenig verändert. Ausschließlich das Verhalten der computergesteuerten Mitspieler hat sich gegenüber dem letzten Jahr teilweise massiv verändert. So wurde die Stärke dieser Spieler verbessert, was nun nicht mehr so oft zur Spielaufbauzerstörung durch die Inkompetenz der eigenen Leute führt. Auch die Verteidigung, sowie das Torwartverhalten wurde verändert und macht es nun den gegnerischen Stürmern schwerer durch die Reihen zu marschieren. Im Gegenzug hat der menschlisch gesteuerte Torhüter einiges an Dominanz verloren. So sind die brutalen Reflexparaden aus kurzer Distanz fast nicht mehr umsetzbar. Das Herauslaufen ist dadurch wieder wichtiger geworden und ermöglicht es den gegnerischen Stürmer wieder flexibler Tore schießen zu können.
Etwas ganz Neues ist unter dem Begriff EA Sports Arena eingeführt worden. Darunter versteckt sich nichts anderes als das "ESL" - Center von EA, welches von der Firma Virgin verwaltet wird. Kurzum, hier werden Turniere veranstaltet, bei dem es Preisgelder zu gewinnen gibt und die Konkurrenz auf höchstem Niveau spielt. Eine Registrierung per E-Mail ist unumgänglich um diese Option wahrnehmen zu können.
Weiterhin stehen Spielmodi wie Pro-Ranglistenspiele, die Lobbies und Live Season zur Verfügung. Letzteres hingegen ist diesmal nicht im Preis inbegriffen und muss über den FIFA-Store entgeltlich erworben werden.
Weithin bringt sich FIFA 12 mit unglaublich vielen Feinheiten immer näher an den Realismus. Besonders im Spielverlauf finden wir Dinge vor, die wir auch aus dem echten Fußball kennen. Spieler verletzen sich nun ohne fremde Einwirkung und werden im Sprint auf einmal langsamer, humpeln und greifen sich an die Wade. Der Schiedsrichter greift bei größeren Verletzungen jetzt sogar mit einer Spielunterbrechung ein und gibt danach Schiedsrichterball, der je nach Situation sogar fair vom gegnerischen Spieler in die eigene Hälfte geschlagen wird. Fantastisch! Außerdem enthält die "Impact Engine" eine Kontaktanalyse und berechnet so die genaue Verletzung. Besonders sinnvoll ist dies im Karrieremodus, wodurch Verletzungspausen nun nachvollziehbarer sind.
Auch die Geräuschkulisse hat einiges an Volumen dazu erhalten. Fangesänge wurden jetzt besser auf die einzelnen Vereine zugeschnitten und lassen sich kraftvoller wahrnehmen. Einzig das Dilemma um die Kommentatoren ist gleich geblieben. Hier wird man das Gefühl einfach nicht los, dass EA fast schon trotzig darauf besteht, dass uns "Breucki und Buschi" zu gefallen haben. Die PS3 Version profitiert von den guten englischen Kommentatoren, die es dort jetzt sogar im Doppelpack gibt. Die 360 muss sich auch weiterhin mit den italienischen und ungarischen Kollegen begnügen.
Besser hingegen macht es das neue Menüdesign. Nicht nur, dass man seinen Arenaspieler in feinen Bewegungsstudien bewundern darf, wir erhalten nun auch ein wesentlich einfachere und übersichtlich gestaltete Menüführung.
Das Creation Centre schien letztes Jahr sehr beliebt gewesen zu sein, denn EA hat hier einiges an Pulver investiert und diesen Editor kräftig aufgepumpt. Bei Creation Centre wird es uns ermöglicht online über den Browser auf der EA-Sports Seite mit einem Editor Teams zu erstellen und jedem einzelnem Spieler darin eine eigene Note zu geben. Dieses Team kann dann in FIFA 12 gedownloaded und gespielt werden. Gegenüber dem letzten Jahr wurden die Optionen erweitert und gegen einen Unkostenbeitrag mit noch mehr Einstellungsmöglichkeiten versehen. In Kombination mit der Möglichkeit eigene Fangesänge und Musik einzustellen, ist der Fantasie hier keine Grenzen mehr gesetzt.
Positiv:
- Impact-Engine bringt FIFA noch näher an den Realismus,
- Tactical Defending ist nach Eingewöhnungszeit eine echte Verbesserung
- Torhüter-KI wurde weiter verbessert
- Ultimate Team nun von Anfang an dabei
- Virtual Pro ist mal wieder eine Augenweide
- Ranglistenspiele aufgrund des neu eingeführten Ligasystems und Team-Vorauswahl wieder richtig reizvoll
- KI im Pro Club nun wesentlich besser und mannschaftsdienlicher
- Pro Gaming mit Preisgeldern per EA Sports Arena jetzt auch auf Konsolen möglich
- Schneller Einwurf, Schiedsrichterball, Verletzungen ohne gegnerische Einwirkung, kleine aber faszinierende Neuerungen
- Creation Centre jetzt mit vielen neuen Möglichkeiten
Negativ:
-
ist aber verbesserungswürdig und wirkt häufig unfreiwillig komisch
- Offensivverhalten der KI vor der gegnerischen Abwehrreihe ist ohne Bewegung und Kreativität
- Wieder kein motivierendes Sammelalbum in Ultimate Team
- kaum Veränderungen im Pro Club Modus außerhalb des Spielfeldes
- Live Season nicht mehr kostenlos