"Nach dem Dienst trafen Lee und ich uns mit Kay. Manchmal kochte sie für uns oder wir zogen los und machten die Stadt unsicher. Sie war immer dabei. Niemals zwischen uns, immer in der Mitte."
Die Grenze zwischen Film und Videospiele zerfließt in unserer heutigen Zeit mehr und mehr. Die Zeiten in denen der Plot aus "Rette die Prinzessin" besteht sind lange vorbei. Die Handlungen der heutigen Spiele sind komplex und teilweise tief literarisch. Es ist inzwischen keine Seltenheit mehr, dass die Spielebranche sich von den großen Hollywoodfilmen einiges abgeschaut hat, wobei man fairerweise erwähnen muss, dass es umgekehrt natürlich auch so ist. Rockstar ist eine dieser Entwicklerschmieden die sich sehr erfolgreich an Filmgenres gewagt hat. Der Gangsterepos "Grand Theft Auto" (kurz GTA), hatte im vierten Teil seinen zwischenzeitlichen Höhepunkt gefunden und skizzierte auf subtile Weise das Leben eines Verbrechers mit all seinen Klischees. Ein weiterer großer Erfolg stellte "Red Dead Redemption" dar, dass den Western in seiner ganzen Pracht zum Vorbild nahm und diesen perfekt inszenierte.
Nun riss sich Rockstar eine weitere Filmsparte unter den Nagel, den Film Noir. Für die heutige Spielegeneration ist dieses Genre nicht so sehr bekannt wie Western oder Gangsterfilme, da der Film Noir in den 50ern seine Blütezeit hatte. Das Kernelement dieser Filme waren immer Kriminalfälle über Mord und Betrug, eingehüllt in einer moralisch verwerflichen Gesellschaft. Die Protagonisten waren häufig Privatdetektive oder Polizisten, welche sich stets selber zu Antihelden entwickelten. Das große Merkmal dieser Filme ist aber die bildliche Darstellung der Szenerie, welches stets in einem depressiven Schwarz-Weiß gehalten wurde und dem Zuschauer Hoffnungslosigkeit und Pessimismus vermittelte. Diese Niedergeschlagenheit zog sich stets durch den ganzen Film. Auch die Schauplätze waren immer amerikanische Großstädte in denen sich der Zuschauer und der Protagonist verloren fühlten. Der Erfolg dieses Genres beruhte auf das damalige Lebensgefühl der Menschen während der Nachkriegszeit, die geprägt waren von Depressionen, Armut und Perspektivlosigkeit.
Rockstar nahm sich also dieses Themas an und die Spielewelt war gespannt darauf, wie dieses Genre würdevoll in einem Videospiel untergebracht werden kann.
Inhalt
Wir befinden uns im Jahre 1947. Der Krieg ist vorbei und Amerika befindet sich in einer tiefen Rezession. Das Volk ist gebeutelt von Lebensmittelrationierungen und die Kriegsversehrten suchen ihren Platz in der Gesellschaft. Mord und Diebstähle sind an der Tagesordnung und selbst die Polizei ist von der Korruption in den eigenen Reihen betroffen. Mittendrin taucht Cole Phelps auf. Ein Kriegsveteran, der mit dem Silver Star ausgezeichnet wurde und stets an das Gute in der Gesellschaft glaubt. Phelps tritt dem Los Angeles Police Department (kurz: LAPD) bei, um weiterhin seinen Beitrag für die Bürger und der Stadt zu leisten. Wir als Spieler verfolgen nun den Werdegang dieses Protagonisten der zu Beginn der Geschichte noch seinen Dienst als einfacher Streifenpolizist verrichtet. Mit Phelps entdecken wir das wunderschöne Los Angeles der 40er Jahre, dass bis in das kleinste Detail präzise nachempfunden wurde. Neben kleinen Dingen wie der Mode und einzelnen Gegenständen, wurde das ganze Ambiente perfekt eingefangen. Gebäude, sowie Sehenswürdigkeiten wurden haarklein umgesetzt und erfüllen das Spiel mit dem Flair der 40er. Hier sei die Frage gestattet wie viel Recherchearbeit da wohl drin stecken mag?
Doch das ist längst nicht alles! Cole Phelps Beruf bringt uns das Leben dieser Zeit näher. Die Geschichte erteilt uns eine Lehrstunde in Sachen soziale Brennpunkte und politische Verhältnisse der amerikanischen Nachkriegszeit. Denn so schön die Fassade der Stadt auch ist, in den Hinterhöfen spielt sich ein anderes Geschehen ab. Das muss auch Phelps schnell erkennen, als er sich mit seinen ersten Fällen für das Verkehrsdezernat beschäftigt. Zerrüttete Ehen, Filmproduzenten die Minderjährige missbrauchen, harte Themen mit denen sich der Spieler bereits zu Beginn auseinandersetzen muss. Je tiefer Phelps gräbt, desto mehr soziale Abgründe tun sich auf. Doch das ist noch längst nicht das Schlimmste. Die Fälle mit denen sich Phelps beschäftigt haben auch noch perfide Parallelen und weisen auf den seit langem gesuchten "Black Dahlia-Killer" hin.
5th of November: "LA Noire ist ein einmaliges Erlebnis. Sowas kann man maximal mit Heavy Rain vergleichen..."
L.A. Noire ist ein tiefes Abbild dieser Zeit, welches ungeschönt und zeitweise erschreckend ehrlich mit dem Spieler umgeht. Kaum zu glauben was Rockstar hier investiert hat. Der Umfang der Stadt kann sicherlich nicht mit einem GTA IV mithalten, doch die Detailversessenheit ist beispiellos.
Grafik und Akustik
Bereits die Trailer zu L.A. Noire zeigten ein Feature von bisher unbekannter Qualität. Rockstar engagierte Schauspieler und filmte deren Gesichtsmimiken mit 36 Einzelkameras aus allen Perspektiven ab. [img left]145146[/img] So gelang es den Entwicklern mit einer bisher nie dagewesenen Perfektion Gesichtsregungen in das Spiel einfließen zu lassen. Charaktere wirken nun in einer einzigartigen Art und Weise lebendiger und geben den Interaktionen der Protagonisten mehr Spielraum. Es ist mit dieser Technik nun möglich, Gefühlen mehr Ausdruck zu verleihen, was dem Zuschauer auch vermittelt werden kann. Der kleine Nachteil dieses neuen Features ist allerdings die Tatsache, dass die Schauspieler sich ab und zu zum "Overacting" hinreißen ließen und daraufhin oft überzogene Grimassen zustande kommen. Das hat allerdings Seltenheitswert, denn im Großen und Ganzen leisteten die Schauspieler sehr gute Arbeit. Rockstar hat diese neue Technik im Übrigen auch gleich mit ins Gameplay einfließen lassen, doch dazu später mehr.
Hannibal: "Die Animation der Gesichter ist Awesome, die Grafik und die Inszenierung sind ebenfalls super."
Die neuen Gesichtsmimiken sind zwar überragend, doch sollten sie nicht zu sehr vom Rest ablenken.
Im Gegensatz zu anderen Rockstar-Teilen fehlt es L.A. Noire an Detailschärfe und Interaktionsmöglichkeiten. Sehen wir in unserer Umwelt genauer hin erkennt man grafische Schwächen, wie matschige Texturen und grobe Auflösungen. Framerateeinbrüche sowie Pop-Ups sind auch in diesem Spiel festzustellen. Auch das Interagieren mit der Stadt ist leider mangelhaft. Es gibt kaum Gebäude die sich betreten lassen, wenn sie nichts mit der Ermittlungsarbeit zu tun haben. Passanten agieren schemenhaft und leblos. Für Fahrzeuge gilt das Gleiche. Ausweichmanöver haben das immer dasselbe Schema und auch das Schadensmodell ist minimalistisch.
Sharky: "Man kann in Los Angeles nicht wirklich viel machen, da hatte sogar Mafia 2 gefühlt mehr Interaktivität."
Positiv ist der Stil der Präsentation, welches das Spiel wie einen Thriller aus der Filmschmiede Hollywoods der 50ern erscheinen lässt. Sogar eine Farboption gibt es, in dem die Möglichkeit besteht das Spiel in Schwarz-Weiß zu spielen, was das Ambiente perfekt verstärkt. Verbunden mit dem Score, der natürlich am Film-Noir angelehnt ist, fühlt sich der Spieler in einen interaktiven Thriller versetzt. Der Soundtrack passt sich sehr gut ans Spielgeschehen an und gibt sogar spielerische Tipps. So wird zum Bespiel bei einer Tatortuntersuchung solange Musik eingespielt bis keine weiteren Hinweise zu finden sind. Selbstverständlich kann diese Hilfe per Option auch ausgestellt werden.
Dramaturgisch ist der Soundtrack schnörkellos und lehnt sich an diverse Filmvorbilder wie zum Beispiel "Der Pate" an. Die fantastische Synchronisation ist schon fast eine Selbstverständlichkeit und zeigt erneut, dass Rockstar es versteht nicht nur gute Drehbücher zu schreiben, sondern diese auch perfekt umzusetzen.
Gameplay und Steuerung
Man könnte behaupten, dass L.A. Noire das umgekrempelte GTA ist, allerdings ist das wohl nur mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Richtig ist, dass der Spieler diesmal einen "Guten" spielt und für Recht und Ordnung sorgt.
Pacifica: "Auf jeden Fall eine tolle Abwechslung zur üblichen GTA Manier. Ist wirklich mal schön die andere Seite der Medaille zu erleben."
Doch das findet nicht ausschliesslich in Form von Schießereien statt, sondern beschränkt sich überwiegend auf Ermittlungsarbeiten. Der Rockstar-Stammspieler muss sich erst einmal umgewöhnen, aufgrund der in sich übergreifenden episodenartigen Erzählweise. Cole Phelps detektivische Arbeit beginnt zunächst immer am Tatort. Der Gerichtsmediziner erläutert uns die Situation und füttert uns mit ersten Fakten. Danach gilt es den Tatort nach Spuren und Hinweisen abzusuchen, die der Beweisführung dienlich sein können. Das ist allerdings nicht so anspruchsvoll wie man glauben mag. Neben der bereits erwähnten musikalischen Hilfe, vibriert der Controller sobald Cole sich in der Nähe eines Hinweises befindet.
Danach geht es zu den ersten Befragungen der Zeugen. Hier greifen dann endlich die Stärken des Gameplays. Über das Notizbuch kann Phelps dem Gegenüber Fragen stellen. Hier gilt es die Befragten genau zu beobachten und seine Reaktionen in der Gesichtsmimik abzulesen. Durch die verfeinerte Technik, die es ermöglicht selbst kleines Stirnrunzeln und Augenzucken darzustellen, muss der Spieler erkennen ob der Verhörte die Wahrheit sagt oder lügt. Mit den richtigen Entscheidungen ist der Spieler in der Lage weitere wichtige Fakten heraus zu kitzeln, die zur Lösung des Falles beitragen. Ausserdem erhält der Spieler hierfür Erfahrungspunkte die er später gegen Intuitionspunkte eintauschen kann. Mit diesen Punkten kann er sich bei kniffligen Fragen helfen lassen, indem er falsche Reaktionen streichen lässt. Ist das erledigt kann der Spieler nun weitere Orte bereisen, diese untersuchen und andere Zeugen vernehmen. So führt das Eine zum Anderen und der Fall löst sich unweigerlich von selbst. Hier liegt leider die große Schwäche von L.A. Noire.
Linearität wird großgeschrieben. Phelps ist gefangen in der Zwangsjacke des Skripts und der Spieler hat keine Möglichkeit eigene Lösungswege zu finden. Alles unterliegt einer klaren Struktur. Die Fragen sind vorgegeben, die Hinweise ebenso. Es bedarf noch nicht einmal der Anstrengung zu erkennen ob der Gegenstand den man in der Hand hält relevant für den Fall ist oder nicht. Das übernimmt das Spiel. Es gibt keine Irrwege oder Irritationen in denen sich der Spieler verfangen könnte. Alles wirkt wie "Finde den Schlüssel für dieses Tor oder es geht nicht weiter!" Selbst bei Verhören ist es kein Problem wenn diese danebengehen, das Spiel passt sich den Gegebenheiten an und führt den Spieler unweigerlich ans Ziel. Der Spieler hat auch hier gar keine großen Möglichkeiten sich in irgendeiner Form selbst einzubringen. Beim Verhör gibt es kein Spielraum zur Entwicklung einer eigenen Strategie. Das Erkennen einer Lüge ist im späteren Verlauf auch nicht mehr die große Herausforderung, da der geübte Spieler das Mimenspiel schnell durchschaut. Es gilt dann nur den richtigen Beweis zuzuordnen und schon ist der Fall abgeschlossen.
Die kleinen Rätsel die es zwischendurch zu lösen gibt sind teilweise so lächerlich, dass die Entwickler sie auch getrost hätten weglassen können. So muss zum Beispiel ein Globus aus verschiedenen Teilen solange gedreht werden bis die Teile der Kontinente zusammenpassen. Dieses Puzzle ist noch nicht mal mehr für Vierjährige eine Herausforderung.
Am Ende jedes Falles erhält der Spieler eine Bewertung in Form von 1-5 Sternen. Diese Bewertung richtet sich nach der Anzahl der gefundenen Hinweisen, richtigen Befragungen und entstandener Sachschaden bei Verfolgungsjagden. Da diese Bewertung allerdings keinerlei Auswirkung auf den Verlauf der Geschichte, bzw. der Beförderungen haben ist das fast schon zu vernachlässigen und als verschenkte Chance der Verbesserung des Wiederspielwertes abzutun.
Doch das wohl Schlimmste am Gameplay ist die unglaubliche Monotonie. Jeder Fall läuft nach dem exakt gleichen Schema ab. Tatorte filzen, Aussagen aufnehmen, Verdächtige verhören und ab und zu noch eine kleine Verfolgungsjagd per Auto oder zu Fuß. Beides ist auch hier in der Regel keine wirkliche Knackwurst. Die Actionsequenzen machen eher den Eindruck eines zwanghaften Tempowechsels, dass auf Dauer nur einen trägen Seufzer beim Spieler hinterlässt. Um dem Thema Schwierigkeitsgrad noch die Krone aufzusetzen, hat Rockstar die Option eingerichtet die Actionsequenz nach drei Fehlversuchen überspringen zu können. Da fragt man sich durchaus warum es dem Spieler so leicht gemacht wird?
Calvin: "Die Action-Szenen sind ziemlich simpel gestrickt und eigentlich auch verzichtbar."
Rockstars Stärken waren neben dem üblichen Storyplot, die Welt mit einem Sammelsurium an Sidequests zu überfluten. In Red Dead Redemption wurden wir erschlagen von Nebenaufgaben. Überall gab es etwas zu tun. Nie war es langweilig und ständig verlor man deswegen die Haupthandlung aus den Augen. In L.A. Noire ist auch in diesem Bereich alles anders. 40 Nebenmissionen warten auf den Spieler die über den Polizeifunk ausgerufen werden. Meistens wartet dann auf Phelps eine Schießerei oder eine Verfolgungsjagd die in der Regel im Kugelhagel endet. Wer dann noch die versteckten Fahrzeuge und Denkmäler gefunden hat, hat auch schon alles von L.A. Noire gesehen. Das ist erschreckend schwach was Rockstar hier abliefert und für deren Verhältnisse auch nicht akzeptabel, da wir wissen das die Entwickler es besser können.
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Positiv:
- ein L.A. der 40er wie aus den Geschichtsbüchern
- ein perfekt inszeniertes Ambiente
- starke Charaktere mit bewegenden Hintergründen
- Gesichtsmimiken sind beispiellos
- Sound ist eine perfekte Hommage an den Film-Noir
- Sprachausgabe hat Hollywood-Qualität
Negativ:
- große Monotonie beim Aufklären der Fälle aufgrund gleicher Vorgehensweise
- mangelnde Entscheidungsfreiheit beim Lösen der Kriminalfälle
- keine Irrwege oder falsche Beweise
- Rätsel sind viel zu leicht
- Actionsequenzen können übersprungen werden
- Bewertungssystem hat keine Auswirkungen
- grafisch keine Weiterentwicklung
- wenig Interaktionsmöglichkeiten mit den Bürgern und der Stadt