"Golf ist das Tennis für faule Menschen!"
Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger war der Tennissport in Deutschland der beliebteste Sport hinter Fussball. Zugpferde wie Boris Becker und Steffi Graf prägten diesen Sport und gewannen reihenweise Grand Slams für Deutschland. Doch mit dem Karriereende dieser beiden Ausnahmesportler verschwand auch der Tennissport wieder aus dem Rampenlicht und macht nur noch mit ausländischen Sportlern Schlagzeilen. Die Tage in denen Grand Slams noch auf RTL oder den öffentlich rechtlichen Sendern übertragen wurden sind aber schon lange vorbei. Trotzdem bleibt dieser Sport in der Welt äußerst beliebt und ein Zuschauermagnet. In keiner anderen Sportart werden bei beiden Geschlechtern solch hohe Preisgelder ausgespielt. Tennis ist weder eine reine Frauen- noch Männerdomäne und beide Abteilungen erfreuen sich einer großen Beliebtheit rund um den ganzen Erdball.
Auf dem Konsolenmarkt fechten derzeit zwei Franchises um Marktanteile. Zum Einen die "Virtua Tennis" - Serie von Sega und zum anderen "Top Spin" aus dem Hause 2K Games. Wir wollen uns in dieser Review ausschliesslich mit Top Spin beschäftigen und stellen uns die Frage, ob in der vierten Auflage des Klassikers viele Ärgernisse des Vorgängers entfernt wurden und wir hier eine Simulation oder Arcade-Geballer zu sehen bekommen.
Inhalt
[img left]144564[/img]Wer kennt sie nicht, diese stundenlangen Duelle während des Grand Slams, indem zwei Gegner sich bis in den fünften Satz treiben und dort bis zum kräfteraubenden Ende Bälle über das Netz wuchten. Tennis ist ein Spiel welches schnell abgehandelt werden kann, oder zäh und erbittert geführt wird. Jeder Zuschauer kennt das Gefühl wenn keiner der beiden Kontrahenten auch nur einen einzigen Ball dem Gegner schenken will. Genau dieses Gefühl kann Top Spin erzeugen, denn hier stehen alle Mittel und Wege offen. Vom einfachen Satzspiel mit 3 Punkten bis hin zum 5-Satz Spiel mit Zweipunkteregelung ist hier alles einstellbar. Im einfachen Showmatch in dem der Spieler wahlweise alleine oder gegen einen Kumpel antreten kann, besteht die Möglichkeit im Einzel oder Doppel anzutreten. Doch bevor es ernst wird im Center Court, sollte jeder Neuling zunächst die Tennisakademie besuchen. Hier werden nicht nur die Grundlagen der Steuerung vermittelt, sondern auch taktische Spielzüge und klare Strategien. Neben dem Erlernen von Slice, Volley, Top Spin und Co. vermittelt der virtuelle Trainer auch verschiedene Spielweisen wie Serve and Volley oder defensives Grundlinienspiel. Hier erlernen wir auch was es heißt, sich auf das Spiel des Gegners einzulassen, seine Schwächen zu erkennen und auszunutzen. Das Tutorial ist sehr nützlich und sollte auf jeden Fall wahrgenommen werden.
Als weiteren Spielmodi gibt es den sogenannten Tenniskönig. Idealerweise spielen hier vier menschliche Spieler in verschiedener Reihenfolge gegeneinander, bis ein Spieler fünf Siege errungen hat und zum Tenniskönig gekürt wird. Dieser Spielmodus macht allerdings nur Sinn, wenn alle menschlichen Teilnehmer leistungsmäßig auf einer Höhe sind, denn der Sieger des letzten Spiels tritt in der nächsten Partie erneut an. So besteht das Problem, dass andere Spieler nicht oft genug zum Zug kommen. Wahlweise kann das Ganze auch mit der K.I. gespielt werden, allerdings ist auch hier schnell die Luft raus wenn der Spieler diese beherrscht.
Das Herzstück liegt aber ganz klar im Karrieremodus. Zunächst wählen wir neben dem Geschlecht und der Herkunft einen Namen. Danach können wir per Editor das Aussehen unseres Avatars verändern und über einen Kleiderschrank diverses Equipment verteilen. Die obligatorischen Tattoos fehlen hierbei natürlich nicht. Danach gehts auch schon los und wir stellen fest, dass uns zunächst nur kleinere Turniere gestatten daran teilzunehmen. Der Aufbau des Karrieremodus ist gut umgesetzt. Jeden Monat dürfen wir ein Sparringsmatch durchführen in dem wir Erfahrungspunkte sammeln können. Später stehen uns außerdem Spezialevents zur Verfügung in denen der Spieler verschiedene Ereignisse bestreiten kann wie Showmatches, Interviews, Fortbildung oder Sponsorenherausforderungen. Der größte Teil dieser genannten Dinge handeln sich aber unspektakulärer ab als es den Anschein hat. Ist dieser Teil erledigt, geht es an ein Turnier nach Wahl. Zu Beginn der Karriere stehen dem Spieler nur wenige Türen offen und man begnügt sich mit kleinen Turnieren. Durch das Sammeln von Erfahrung und Erfüllen von Leistungen levelt der Spieler auf und sein Ansehen steigt. Mit jedem Level-Up können wir Erfahrungspunkte auf dem Profil unseres Protagonisten verteilen, wobei die Auswahl durch die Art des Trainings vorgegeben wird. Das ist sinnvoll, denn so wird vermieden, dass spezielle Fähigkeiten bis in die Extreme trainiert werden und dafür andere Bereiche völlig ignoriert bleiben.
Als zusätzliche Möglichkeit der Verbesserung gibt es eine Auswahl an Trainern die durch Erfüllung von spielerischen Aufgaben, wie zum Beispiel: "Schlage 40 Slices" oder "Treffe 20 Aufschläge perfekt" Boni auf die Profilwerte geben oder den Spieler mit besonderen Fähigkeiten ausstatten. Der Trainer kann jederzeit gewechselt werden und je nach der Entwicklung des Spielers erscheinen neue Trainer. Das hört sich jetzt alles nach einer richtig guten Charaktersimulation im Stile eines Role Play Games an, doch leider wirkt das alles zu steril. Die Trainer sind nicht mehr als Quests mit Items ohne echtes Leben und die Events werden mit einfachen Rückmeldungen abgehandelt. Ein richtiger Fokus auf den Nebenschauplatz außerhalb der Tennisarena gibt es also nicht wirklich und alles wirkt zu berechnend und kalkulierbar. Desweiteren ist mit Level 20 die Messe gelesen und dieser Punkt ist leider viel zu schnell erreicht. Ein weiterer Minuspunkt ist der jederzeit veränderbare Schwierigkeitsgrad in einer laufenden Kampagne. Hier fällt schnell mal die Hemmung die Kurbel nach unten zu drehen wenn dem Spieler ein entscheidendes Spiel bevorsteht, dass man nicht verlieren will. Apropos Schwierigkeitsgrad! Dieser existiert eigentlich erst ab "Schwer", denn alles darunter ist schlechteres Sparring. Die Gegner bewegen sich kaum bis gar nicht und so geht fast jedes Spiel ohne Punktverlust an euch. Erst im späteren Verlauf der Karriere, wenn ihr auf die Stars trefft und auf "Schwer" oder "Profi" spielt, kommt Schwung in die Sache. Der Karrieremodus ist in seinen Ansätzen befriedigend, doch der Teufel steckt in der Oberflächlichkeit.
Grafik und Akustik
Der erste Blick verrät es bereits, eine echte Highend-Grafik erwartet uns bei diesem Titel leider nicht. Zu steif und wiederholend wirken die Bewegungsabläufe, zu leblos ist das Umfeld inszeniert. Die Spielermodelle sind schwach gezeichnet und erinnern nur bei einigen wenigen wie Nadal und Federer an die Originale. Ein Davydenko sieht aus wie ein Opa, Ivan Lendl ist gar nicht wieder zu erkennen. Zu wenige Möglichkeiten scheint die Grafikengine zu bieten. Hauttöne wirken zu exzentrisch und die Sportkleidung hängt teilweise wie ein Kartoffelsack am Körper. Der Schweiß schimmert in der Sonne, als hätten die Spieler sich mit Babyöl eingeschmiert. Das mag ja bei den Frauen noch gut aussehen, ändert aber nichts an der fehlenden Wirklichkeit. Die Gesichtsmimiken sind Botoxgebremst und der Bewegungsablauf hat so viel Natürlichkeit wie ein Laufstegmodel. Interessanterweise wirkt das im Gesamtbild nicht unbedingt störend, aber jede Komponente für sich ist leider mangelhaft. Top Spin ist auch in Teil Vier nicht in der Lage den Schiedsrichtern und Balljungen echtes Leben einzuhauchen. Alles beschränkt sich auf ein paar Armbewegungen der Linienrichter. Das ist definitiv zu wenig. Dabei sieht man doch anhand des Publikums, dass da mehr drin gewesen wäre, denn die sind nicht nur akustisch sehr gelungen sondern kommen optisch bestens rüber. Mit viel Bewegung und sogar Mimik gehen die Zuschauer mit und puschen sich bei grandiosen Ballwechseln mehr und mehr hoch, bis ein tosender Applaus ausbricht wenn der Ballwechsel entschieden wurde. Die Spieler auf dem Platz allerdings sind entweder völlig emotionslos oder jubeln als hätten sie den Grand Slam gewonnen, obwohl nur ein stinknormaler Punktgewinn erzielt wurde. Hier fehlt die Abstimmung leider völlig. Auch unlogische Bewegungsanimationen fielen uns auf, wie zum Beispiel dass Schuhe abklopfen auf Hartplatz oder dass Schweiß abwischen durch die Kappe. Pluspunkte sammeln die Plätze selbst, welche toll aussehen, obwohl diese überwiegend aus dem Vorgänger übernommen wurden. Besonders die Ascheplätze hinterlassen überall Spuren. Jede Fußspur bleibt erhalten, der Staub bleibt am Equipment der Spieler kleben. Hier wurde durchaus gute Arbeit geleistet, warum also nicht bei den anderen Komponenten? Ach ja, und da wäre ja noch das stereoskopische 3D! Ja ihr habt richtig gelesen! Ein XBox 360 Test beschäftigt sich mit diesem Thema, denn es funktioniert auch hier. Einzig die Auflösung muss auf 720p heruntergedrosselt werden und schon kann es losgehen. Zugegeben, wir bekommen hier kein Highlight zu sehen, aber es funktioniert und zeigt, dass auch die Box dazu imstande ist.
Der Sound selbst ist durchschnittlich. Was soll man bei Tennis auch großartig erwarten. Die Linienrichter schreien ihr "Fault" in die Runde, der Schiedsrichter gibt regelmäßig den Spielstand bekannt und vermerkt nebenbei völlig ohne Grund ein "Quiet Please". Nur die Zuschauer selbst stellen, wie bereits erwähnt, das Highlight dar. Der Score beschränkt sich auf vier bis fünf dudelige Tracks die kaum herausstechen und sich häufig wiederholen. Auch hier finden wir keine wirklich erwähnenswerten Highlights vor.
Gameplay und Steuerung
Was nützen einem fantastische Grafiken und perfekte Spielmodi wenn das Gameplay versagt? Es ist das Herzstück einer jeden Simulation und der Indikator der Langzeitmotivation. Nun, Top Spin hat den starken Hang zum Arcadedesign. Ein Spiel welches eine Simulation sein möchte darf gewisse Dinge nicht tun. Zum einen ist da die automatische Führung des Spielers zum Ball, um die optimale Position für den Return zu erhalten. Der Spieler selbst muss nur in Richtung Ball laufen, die Positionierung findet automatisch statt. Dann wäre da das Schlagen der Bälle selbst. Top Spin verlangt vom Spieler nur eines, und das ist präzises Timing. Wer das beherrscht, beherrscht den Gegner. Nur ist das leichter gesagt als getan. Doch lasst uns erst mal von vorne anfangen. Die vier Grundschlagarten sind Flat, Topspin, Slice und Lob, welche auf den vier Tasten verteilt wurden. Entscheidend für einen guten Schlag ist das rechtzeitige Drücken, wobei nicht der Kontakt zum Ball wichtig ist sondern der Schwung. Das bedeutet, dass wir mit dem Loslassen der Taste den Schläger schwingen. Harmoniert dies zum Ball, treffen wir diesen optimal. Ist das Timing zu früh oder zu spät ist die Flugbahn ungenauer, heißt aber nicht zwingend, dass der Ball daneben geht. Hier kommt wieder ein wenig das Arcade zur Geltung. Auch ein ungeübter Spieler kriegt den Ball mit einer relativ guten Regelmäßigkeit übers Netz. Erst bei schnellen oder komplizierten Returns, sowie bei Abbau der Konditionsleiste aufgrund längerer Ballwechsel wird das Timing immer wichtiger, um den Ball wieder ins Feld zu kriegen. Harte Schläge lassen sich bewerkstelligen in dem man die Schlagtaste länger gedrückt hält und zum Powerschlag auflädt. Das wirkt sich allerdings wieder auf die Genauigkeit aus und es gilt abzuwiegen ob ein präziser Schlag in manchen Situationen nicht erfolgreicher wäre. Als weitere Möglichkeiten gibt es da noch die Volleys und Stopps, die allerdings viel Feingefühl benötigen um erfolgreich gespielt zu werden. Anfänger sollten dies zunächst meiden. Doch der Hauptkritikpunkt ist die Tatsache, dass der Spieler nie die völlige Gewalt über das Spiel hat. Trotz präziser Returns mit optimaler Position geht der Ball nicht immer dahin wo er soll. Besonders die steilen Cross-Schläge funktionieren selten, oder landen im Netz. Doch genau diese fehlende Kontrolle bringt einen großen Vorteil mit sich, denn Top Spin ist actiongeladener denn je. Da die Steuerung übersichtlich bleibt, fällt Fingerakrobatik flach und durch das Mitziehen des Gameplays erhöht sich das Tempo des Spiels. So entstehen häufig atemberaubende Ballwechsel mit knappen Entscheidungen. Aber auch hier fehlt es an Leben rund um das Gameplay. Die K.I. berechnet den Aufschlag exakt, viel zu exakt. So gibt es keine Möglichkeit der Anfechtung von etwaigen Fehlentscheidungen. Der Schiri ruft schon "Let" bevor überhaupt klar ist wo der Ball aufschlägt. Die K.I. weiß es aber bereits und verkündet das Urteil. Manchmal entstehen allerdings kurze Hänger wenn die Berechnungen länger brauchen. Das passiert zwar nur bei der entscheidenden zweiten Bodenberührung, nervt aber auf Dauer.
Multiplayer
Der Multiplayer ist überraschend umfangreich, aber auch hier fehlt es oft an der letzten Konsequenz. Sie bieten neben dem erwartungsgemäßen Einzel, auch die Möglichkeit ein Doppel zu spielen. Warum allerdings das Doppel nur an der heimischen Konsole gebildet werden darf und nicht mit einem Spieler über X-Box Live bleibt das Geheimnis der Programmierer.
Die richtig guten Elemente finden wir aber in den beiden Ranglisten-Spielmodi. Zum Einen gibt es da die Worldtour, mit der Ihr die Karriere eures erstellten Spielers aus der Kampagne online fortsetzen könnt. Hier trefft ihr auf andere Avatare in Einzelspielen oder gar Turnieren, gewinnt Erfahrungspunkte und verdient gleichzeitig Saisonrangpunkte. Nach einer Woche wird alles wieder zurückgesetzt und bereits gespielte Turniere werden wieder freigeschaltet. Ein weiteres Programmierergeheimnis ist die Tatsache, warum die gegnerischen Spieler immer gleich aussehen? Scheinbar ist das Übertragen der Optik des Gegenspielers zu aufwändig. Als zweite Spielmodi gibt es dann noch die 2K Open . Die funktioniert ähnlich wie die Worldtour, nur spielt ihr hier mit den lizensierten Tennisprofis um Ranglistenpunkte. Ihr müsst also entscheiden welchen Star ihr unterstützt auf seinem Weg an die Tennisspitze.
Positiv:
- sehr gutes Tutorial
- guter Karrieremodus trotz oberflächlichen Ablaufs
- akustisch wie optisch fantastisches Publikum
- Ascheplätze sind das optische Highlight
- 3D auf der Xbox 360
- einfach und übersichtliche Steuerung
- actiongeladene Ballwechsel
- akzeptabler Umfang des Multiplayers
Negativ:
- Gefälle des Schwierigkeitsgrades zu unausgewogen
- Endstufe der Entwicklung des eigenen Spielers zu schnell erreicht
- verschenktes Potential bei der Animierung der Spieler
- Platzumfeld leblos
- schmalbrüstiger Soundtrack
- kein Spielraum für umstrittene Entscheidungen
- leider keine Volllizenz der ATP und WTA
- Kein Doppel mit XBox-Live Freunden möglich